Verwaltung sucht Zukunft

Wie die öffentliche Verwaltung in Bergisch-Gladbach dem Fach- und Führungskräftemangel begegnet

19.09.2023

Im Interview: Thore Eggert, Kämmerer in Bergisch-Gladbach

Thore-Eggert,-Kämmerer-Bergisch-Gladbach

Thore Eggert ist seit Februar 2021 Kämmerer in Bergisch Gladbach. Der 44-Jährige verantwortet damit den Bereich Finanzen sowie die Schwerpunkte E-Government, Digitalisierung und Schulbau in der 111.000-Einwohnerstadt. Der studierte Jurist war als Rechtsreferent im Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung tätig und wechselte dann in den privaten Hochschulsektor. Zuletzt war er knapp fünf Jahre lang als Kanzler und kaufmännischer Geschäftsführer an der Rheinischen Fachhochschule Köln aktiv.

Thore-Eggert,-Kämmerer-Bergisch-Gladbach

Thore Eggert ist seit Februar 2021 Kämmerer in Bergisch Gladbach. Der 44-Jährige verantwortet damit den Bereich Finanzen sowie die Schwerpunkte E-Government, Digitalisierung und Schulbau in der 111.000-Einwohnerstadt. Der studierte Jurist war als Rechtsreferent im Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung tätig und wechselte dann in den privaten Hochschulsektor. Zuletzt war er knapp fünf Jahre lang als Kanzler und kaufmännischer Geschäftsführer an der Rheinischen Fachhochschule Köln aktiv.

Wie stark macht sich der Fachkräftemangel in der öffentlichen Verwaltung bei Ihnen in Bergisch-Gladbach bemerkbar?

Aus meiner Sicht ist der Fachkräftemangel in der öffentlichen Verwaltung ein schwerwiegendes Problem, das sich schneller und stärker als erwartet manifestiert hat und vermutlich nur schwer lösbar sein wird. Es zieht sich durch alle Ebenen: Von Bürgermeistern über die Fachbereichsleitungen und Beigeordneten, die für die operative Umsetzung der politischen Ziele und die Leitung der Mitarbeiter:innen in ihren Fachbereichen zuständig sind, bis hin zu den Stabsstellen und Sachbearbeitungsebenen. In den höheren Ebenen erfolgen Entscheidungen bei der Personalbesetzung nicht ausschließlich auf Basis der – meist fachlichen – Kompetenz, sondern eben auch aufgrund der Parteizugehörigkeit, was die Auswahl als zusätzliches Ausschlusskriterium weiter verschärfen kann. Um andererseits qualifizierte, parteipolitisch neutrale Kandidat:innen zu finden, werden zunehmend Personalberatungen eingesetzt, die allerdings oft vor dem Problem stehen, immer wieder auf denselben Pool an in Frage kommenden Personen zugreifen zu müssen.

Je höher die Position, desto mehr verschiebt sich das Kompetenzerfordernis von der Fachlichkeit hin zu Führungs- und Management-Skills. Bei den wenigen Kandidat:innen, die sich durch ihren Werdegang innerhalb der Verwaltung oder verwaltungsähnlicher Stränge qualifiziert haben und über das fachliche Know-how verfügen, stellt sich mitunter die Frage, ob sie sich überhaupt in eine Führungsrolle begeben wollen. Auf Ebene der Fachexperten, insbesondere in den technischen Bereichen oder der IT, ist es fast unmöglich qualifiziertes Personal zu bekommen, obwohl der Bedarf gleichzeitig – auch wegen enormer kommunaler Sanierungs- und Entwicklungsstaus – immer größer wird. Und z.B. ein guter Programmierer ist nicht zwangsläufig auch ein guter Teamleiter.

Mit den Babyboomern geht in naher Zukunft viel Kompetenz – aber auch ein bisschen „anachronistisches“ Mindset, was ich wiederum als positiv bewerte. Aufgrund niedriger Geburtenraten und schwacher Ausbildungsjahrgänge wächst trotz gewisser digitalisierungsbedingter Einsparungspotenziale nicht genug Talent nach, um essenzielle Lücken zu schließen.

Steht sich die öffentliche Verwaltung durch ihre strengen Vorgaben, insbesondere wenn es um Positionen im höheren Dienst geht, manchmal selbst im Weg?

Die öffentliche Verwaltung ist bei Ihren Einstellungsvorhaben an recht strenge rechtliche Vorgaben gebunden. Man versucht zuweilen, die Regeln großzügig auszulegen, um geeignete Kandidat:innen einstellen zu können. Es gibt jedoch verschiedene Faktoren, die die Suche erschweren. Einerseits besteht die Problematik der formalen Qualifikation, die oft Talente mit einem enormen Potenzial daran hindert, in den gehobenen Dienst aufzusteigen. Zum Beispiel haben Diplomingenieure FH nach dienstrechtlicher Lesart kein wissenschaftliches Studium und daher keine Qualifikation für den höheren Dienst. Andererseits ist die Bezahlung in manchen Bereichen wie etwa dem IT-Management nicht konkurrenzfähig. Eine höhere Vergütung, gekoppelt an ein Leistungsversprechen, könnte jedoch dazu führen, dass z.B. ein CIO mehr verdient, als sagen wir mal ein Beigeordneter oder manch ein Bürgermeister. Dies würde dann zu einer Gleichgewichtsverschiebung führen, die nicht unbedingt gewollt, zumindest aber nicht überall auf positive Resonanz stoßen würde. Im Bereich Krankenhaus gibt es aber durchaus Chefärzte die mehr verdienen als ein ärztlicher Direktor oder ein Krankenhausvorstand. Grundsätzlich wäre hier auch der Gesetzgeber gefragt, um die Bedingungen für eine erfolgreiche Personalbeschaffung zu verbessern. 

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es im öffentlichen Dienst ein klassisches Dilemma gibt: Diejenigen, die formal dürfen, sind mitunter nicht für die Anforderungen einer künftigen Verwaltung qualifiziert und die, die wollen und könnten, dürfen nicht.

Personalentwicklung muss in der Verwaltung neu gedacht werden.

Wie können Sie sich als attraktive Arbeitgebermarke positionieren, um Kandidat:innen, vielleicht auch Seiteneinsteiger, zu gewinnen?

Es gibt weitaus mehr Freiheiten und Gestaltungsmöglichkeiten, als man zunächst vermuten würde. Die „alte Verwaltung“, die man vielleicht aus Erfahrungen der Vergangenheit assoziiert, gibt es so nicht mehr.  Zwar funktionieren wir nicht wie ein Konzern, aber dennoch müssen wir uns an den Grundsätzen der freien Wirtschaft ausrichten. Dazu gehören Kundenorientierung, effektives Projektmanagement und die Nutzung der Digitalisierung zur Vereinfachung von Prozessen. Verwaltung ist kein reiner Selbstzweck.

Die Attraktivität eines Arbeitgebers hängt immer maßgeblich von der Reputation ab. Aber das bedeutet eben auch: Wie sprechen ehemalige und aktuelle Mitarbeiter:innen über uns? Wie wird die Verwaltung in den Medien gesehen? Wie ist die Wahrnehmung im Umgang zwischen Verwaltung, Politik und Stadtgesellschaft? Wir selbst sind oft unser größter Kritiker und kommunizieren dies bei vielen Gelegenheiten nach außen. Dadurch erzeugen wir aber eben auch eine negative Mundpropaganda. Mit über 1.500 Mitarbeitenden haben wir eine enorme Außenwirkung und müssen unser Image als Arbeitgeber aktiv gestalten. Viele Arbeitnehmer:innen sind mit den aktuellen Gegebenheiten nicht 100 Prozent zufrieden und damit auch automatisch offen für Alternativen – insbesondere, wenn sie z.B. von Headhuntern angesprochen werden. Daher müssen wir unsere Angebote als Arbeitgeber attraktiv präsentieren und verkaufen. Und uns kümmern!

Was würden Sie jungen Absolvent:innen sagen, warum sie in die Verwaltung gehen sollten?

Die Sinnhaftigkeit der Arbeit für Daseinsvorsorge und Gemeinwohl ist ein wichtiger Attraktivitätsfaktor. Das ist ein starkes Argument für Menschen, die sich gerne engagieren und im besten Fall im eigenen räumlichen Umfeld etwas bewegen möchten. Im Gegensatz zur privaten Wirtschaft, bei der der individuelle Beitrag zum Ergebnis teilweise kaum spürbar und schwer zu bewerten ist, hat man in der Verwaltung die Chance, einen direkten Einfluss auf das Ergebnis zu nehmen. Darüber hinaus bietet die Verwaltung eine hohe Job- und Karrieresicherheit. Bei angemessenem „Beharrungsvermögen“ ist es nicht unwahrscheinlich, sich innerhalb der Verwaltung entwickeln und hohe Ämter erreichen zu können. Im Gegensatz zur freien Wirtschaft mit teilweise hoher Fluktuationsquote, bei Kolleg:innen wie Vorgesetzten, und wechselnden Strategien haben Entwicklungsversprechen in der Verwaltung in der Regel Bestand. Auch beim Thema Gehalt besteht Transparenz: Obwohl man möglicherweise zu Beginn weniger verdient, ist man durch kontinuierliche Steigerungen abgesichert – die nächste Gehaltsstufe ist nach festen Regeln und Zeitabläufen prognostizier- und planbar.

Ist die interne Entwicklung eine erfolgversprechende Strategie für mehr Führungskräfte oder ist es schwierig, Menschen für einen Karrierepfad zu begeistern?

Die Motivation unserer Bewerber:innen und Mitarbeiter:innen ist sehr unterschiedlich. Quereinsteiger:innen, die nach einem Studium zu uns kommen, haben oft klare Karriereziele vor Augen. Andere suchen bewusst die vergleichsweise „ruhige“ Arbeitsatmosphäre in der Verwaltung. Wiederum andere signalisieren deutlich ihre Ambitionen und bewerben sich gezielt auf offene Positionen. Wir müssen uns individuell mit jeder dieser Gruppen auseinandersetzen und ihre Wünsche und Vorstellungen kennenlernen, aber auch ernst nehmen, um ihre Potenziale bestmöglich zu nutzen und ihnen auch langfristige Perspektiven zu bieten.

In der Verwaltung gibt es aus Gründen vielfach mehr Heimlichkeit als Transparenz, was für Personalentwicklungsprozesse eine absolute Herausforderung darstellt. Informationen über bevorstehende Pensionierungen und sich daraus ergebende Karrieremöglichkeiten für andere werden häufig über Gebühr vertraulich behandelt. Wir müssen uns daher in der Struktur – und auch im Denken – weg von der starren Linienstruktur hin zur flexibleren Matrixstruktur bewegen, um Gelegenheiten der Entwicklung besser aufzeigen zu können.

Personalentwicklung in der Verwaltung muss insgesamt neu gedacht werden, um die talentiertesten Mitarbeiter:innen langfristig binden und fördern zu können. Auch auf die Gefahr hin, dass andere Arbeitgeber dann die Früchte unserer Arbeit ernten. Bei uns gilt immer mehr das Motto: „We hire for attitude and train for skills.“ Die Einstellung und die Persönlichkeit eines Menschen sind wichtig, beibringen können wir ihnen fast alles, was sie für ihre Arbeit benötigen. Deshalb müssen wir uns auch um ein aktives Mentoring bemühen, um unsere talentiertesten Kräfte mit den besten Führungskräften zusammenzubringen.

Auch in der Verwaltung gilt immer mehr das Motto: „We hire for attitude and train for skills.“

Bei jeder Wahl steht das Thema Bürokratieabbau ganz weit oben – hier scheint sich nicht genug zu tun. Haben Sie als Quereinsteiger das Gefühl, gegen Windmühlen zu kämpfen?

Meine Erfahrung als Quereinsteiger hilft mir sicherlich, Dinge und Sinnigkeit kritischer zu hinterfragen als jemand mit langjähriger kommunaler Verwaltungskonditionierung. Die Herausforderung besteht darin, eine Organisation zu entwickeln, die für sich selbst nicht unbedingt diese Entwicklungsnotwendigkeit sieht. Das ist keineswegs ein Vorwurf, sondern durchaus nachvollziehbar. Daher ist es wichtig, auch kleinere Verbesserungen zu würdigen, um die Motivation und einen mindestens latenten Veränderungswillen nicht zu untergraben.

Wir stehen aktuell an einer Transformationsschwelle, an der es unvermeidlich ist, sich den aktuellen Gegebenheiten, Notwendigkeiten und Entwicklungen anzupassen. Eine echte Entbürokratisierung bräuchte, neben dem Willen bzw. der Erkenntnis der Notwendigkeit einer Prozessoptimierung – an den richtigen und prozessual förderlichen Stellen und nicht bezogen auf Kleinstmaßnahmen, die gerade als opportun empfunden werden, – allerdings eine echte und ernst gemeinte Verwaltungsreform.­

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