LinkedIn im Wandel: KI-Innovationen und die Zukunft des Netzwerks

"LinkedIn ist der Feenstaub im Microsoft-Universum"

Im Interview: Marc Oliver Nissen, Director Talent Solutions für die DACH-Region bei LinkedIn

30.01.2024

Marc-Oliver-Nissen_Director Talent Solutions DACH, LinkedIn

Marc Oliver Nissen ist Director LinkedIn Talent Solutions für die DACH-Region und leitet das Hauptstadtbüro in Berlin. Er ist verantwortlich für die Entwicklung kommerzieller Partnerschaften mit Großunternehmen sowie dem öffentlichen Sektor.

Bereits seit 2015 ist Marc Teil des LinkedIn-Teams und gehört damit fast zum Inventar: „Es gibt bei uns ein Tool, dass errechnet, wie viele Kolleg:innen nach einem selbst in das Unternehmen gekommen sind. In meinem Fall sind es fast 99 Prozent.“

Marc Oliver Nissen ist Director LinkedIn Talent Solutions für die DACH-Region und leitet das Hauptstadtbüro in Berlin. Er ist verantwortlich für die Entwicklung kommerzieller Partnerschaften mit Großunternehmen sowie dem öffentlichen Sektor. Bereits seit 2015 ist Marc Teil des LinkedIn-Teams und gehört damit fast zum Inventar: „Es gibt bei uns ein Tool, dass errechnet, wie viele Kolleg:innen nach einem selbst in das Unternehmen gekommen sind. In meinem Fall sind es fast 99 Prozent.“

Marc-Oliver-Nissen_Director Talent Solutions DACH, LinkedIn

Als langjähriger Mitarbeiter bei LinkedIn hast Du die Acquisition durch Microsoft miterlebt. Wie hat sich das angefühlt?

Weniger einschneidend, als man meinen möchte. Als wir die Information an die Mitarbeiter:innen kommunizieren konnten, hatten die Kolleg:innen weniger Angst um ihren Arbeitsplatz als um den Erhalt der LinkedIn-Kultur. Die zweite, nicht ganz ernst gemeinte Sorge galt ihrem iPhone: Müssen wir jetzt alle ein Windows Phone nehmen? Microsoft und LinkedIn sind sehr eigenständige Unternehmen, die sich gegenseitig befruchten. Wir nutzen Synergien und Schnittstellen und LinkedIn profitiert von Microsofts großem Partner-Netzwerk. Ein Microsoft-Kollege hat es einmal treffend zusammengefasst: „Wir liefern unseren Kunden die technologischen Lösungen, und LinkedIn sorgt für den Feenstaub.“ Damit kann ich sehr gut leben.

Gab es auf Seiten Eurer Kunden Bedenken hinsichtlich des Datenschutzes nach der Acquisition durch Microsoft?

Das Gegenteil war der Fall. Zu dieser Zeit war LinkedIn weniger bekannt als heute. Ich musste meinen Arbeitgeber noch oft buchstabieren und beschrieb ihn als „so ähnlich wie Xing“. Im Gegensatz dazu ist Microsoft seit Jahrzehnten bekannt und wahrscheinlich ist jeder mit ihren Software-Produkten wie Word oder Excel vertraut. Einen so etablierten Konzern im Hintergrund zu haben, hat mehr Vertrauen aufgebaut als zerstört.

Durch Microsofts Investment in OpenAI, den Entwickler von ChatGPT, sitzt Ihr direkt an der KI-Quelle. Welche Vorteile ergeben sich daraus?

Aktuell schaut die ganze Welt auf die Möglichkeiten von Künstlicher Intelligenz und spekuliert, wohin sich die neuen Technologien entwickeln könnten. Als Tochter eines Unternehmens, das zweifellos im Zentrum dieser Technologie steht, profitieren wir enorm. Dies war besonders in den letzten zwölf bis 18 Monaten spürbar. Wir haben sehr kurze Wege, auch im Bereich Research und Development, und schnellen Zugang zu neuen Lösungen, die wir an unsere Bedürfnisse anpassen können. Diese Nähe ist für uns ein großer Segen.

In welchen Bereichen setzt Ihr KI ein, und welchen Nutzen zieht Ihr daraus?

Begriffe wie Künstliche Intelligenz, Artificial Intelligence oder Generative AI sind zunächst einmal Buzzwords. Vor gut zehn Jahren waren Business Analytics und Big Data die großen Schlagwörter. Inzwischen nutzt wohl jedes Unternehmen Daten für die Auswertung seiner Geschäftsprozesse. KI wird ebenso selbstverständlich integriert oder ist es bereits. Wir alle verwenden bewusst oder unbewusst schon seit Jahren KI. Sei es bei der Nutzung von Spotify-Playlists, Amazon-Accounts oder Netflix. Überall werden Erkenntnismuster, etwa für Song- oder Film-Empfehlungen, genutzt. Das ist keine Neuheit mehr. Branchen wie die Personaldienstleistung bedienen sich mit dem LinkedIn Recruiter ebenfalls Künstlicher Intelligenz. So verbessern LinkedIn „Spotlights“ die Antwortwahrscheinlichkeit von Kandidat:innen auf Basis ihrer Aktivitäten, Interessen und Kontakte. Funktionen wie diese werden aktuell verfeinert und erweitert. Large Language Models (LLM) wie Chatbots können repetitive Prozesse vereinfachen. Das Erstellen von Stellenanzeigen, die Priorisierung von Kandidat:innen und die Terminierung von Interviews sind Beispiele für operative Aufgaben, die viel Zeit kosten und im täglichen Ablauf automatisiert werden können. Dies ist eine große Hilfe für die HR-Mitarbeiter:innen und hebt ihre Rolle auf ein strategisches Niveau.

In den USA werden automatisierte Posts in der Beta-Version getestet. Wird diese Funktion in absehbarer Zeit auch bei uns verfügbar sein?

Das automatisierte Erstellen von Posts ist teilweise in der Pilotphase. Ich selbst habe es auch schon ausprobiert. Es ist in der Tat keine Zukunftsmusik, sondern relativ aktuell. In greifbarer Nähe sind außerdem automatisierte In-Mails an Kandidaten und Kandidatinnen, und das automatisierte Erstellen von Jobanzeigen ist ebenfalls bereits zum Teil ausgerollt.

Welche Erkenntnisse habt Ihr aus dem Einsatz von KI gewonnen? Welche Tipps kannst Du für den Umgang damit geben?

Zunächst empfehle ich jedem, sich dem Thema Künstliche Intelligenz und all ihren Spielarten mit Neugierde und ohne Berührungsängste zu nähern. Unser Chief Product Officer Tomer Cohen sieht Prompt Engineering heute als eine der wichtigsten Fähigkeiten von Arbeitnehmer:innen: Inwieweit ist eine Person in der Lage, einer KI, einem Large Language Model die richtigen Fragen zu stellen, um den intendierten Output zu erhalten? Das ist eine Skill, die man zum Teil durch Ausprobieren erlernen, sich aber effektiver und zielgerichtet durch Kurse und Weiterbildung aneignen kann. Darüber hinaus rate ich jedem, der heute googelt, Prompt Engineering ebenfalls in die tägliche Routine aufzunehmen, d.h. die Interaktion mit einem Large Language Model zu trainieren, Nachfragen im A/B-Testing zu streamlinen, um am Ende das optimale Resultat zu generieren.

Mit LinkedIn Learning hat sich LinkedIn stark im Bereich Weiterbildung engagiert. Ist LinkedIn noch ein Karriere-Netzwerk oder bereits eine Lernplattform?

Die wenigsten Menschen sind sich des umfangreichen Portfolios von LinkedIn bewusst. Wir sind ein Marketplace auf drei Säulen: erstens, der Talent-Marketplace, der am bekanntesten ist; zweitens, der Knowledge-Marketplace. Im Jahr 2015 haben wir Lynda.com, damals eine der größten Lernplattformen, akquiriert und in LinkedIn Learning transferiert. Heute sind wir einer der weltweit größten Kursanbieter und haben in den letzten zwölf Monaten allein rund 500 KI-relevante Kurse und Lernpfade auf unserer Plattform veröffentlicht. Das dritte Segment ist der Product und Service Marketplace. Auf unserer Plattform sind neben den Talenten Millionen von Unternehmen und Dienstleistern vertreten, die ihre Dienstleistungen und ihre Services anbieten. Diese drei Bausteine vereinen wir unter dem Dach eines Netzwerks. Wir selbst beschreiben uns als Plattform zur Wissensvermittlung.

Die Weltbank, Wirtschaftsorganisationen und Regierungen nutzen unsere Arbeitsmarktdaten.

Können Unternehmen Eure Plattform auch für Inhouse-Schulungen nutzen?

Ja. Wir bieten ein Learning Management System, in dem Unternehmen auch „White-Label-Content“, also selbst erstellten Content, platzieren können. Wir stellen knapp 21.000 Lerninhalte zu einer großen Bandbreite von Themen, wie Soft-Skills, Hard-Skills usw. zur Verfügung. Gerade in Zeiten rasanter technologischer Entwicklungen darf man die Bedeutung von Soft-Skills in den Bereichen Kommunikation und Leadership nicht vernachlässigen. Die Lerninhalte werden in unseren eigenen Studios produziert, die sich mit der Technologie eines Hollywood Studios messen können. Wir haben ein Content-Team, das immer auf der Suche nach den neuesten relevanten Themen aus allen Fachbereichen ist. Dafür werden Expert:innen recherchiert und als Creator eingeladen. Die Kurse werden in verschiedenen Sprachen produziert und zertifiziert, zum Teil sogar mit Hochschul-Credits (ECTS), die im Rahmen einer universitären Ausbildung genutzt werden können.

Hat der Stellenwert der Weiterbildung von Mitarbeiter:innen in den Unternehmen zugenommen?

Der Bereich E-Learning ist durch die Covid-19-Pandemie stark befeuert worden. Das hat die Bedeutung zweifellos erhöht. Dennoch ist die Weiterbildung von Mitarbeiter:innen, zumindest in der DACH-Region, für die ich sprechen kann, in den Chefetagen der Unternehmen immer noch kein Top-Thema. Hier besteht die Tendenz, reflexartig nach externen Personen mit dem erforderlichen Profil zu suchen, anstatt zu verstehen, welches Investment für die Weiterbildung interner Mitarbeiter:innen notwendig wäre, um eine Skill-Gap zu schließen. Oftmals wissen Unternehmen nicht, über welche Fähigkeiten das eigene Personal verfügt. In einem Intranet werden Daten wie die Telefonnummer oder der Geburtstag vorgehalten, nicht aber die Entwicklung der Fähigkeiten.

LinkedIn ist eine Plattform mit über einer Milliarde Mitgliedern mit beruflichen Profilen und Qualifikationen, die jede Sekunde um 5 Mitglieder wächst. Wir haben 67 Millionen Unternehmen und 130.000 Bildungsinstitute auf der Plattform. Innerhalb dieses Netzwerks ergeben sich rund sieben Milliarden Datenpunkte im beruflichen Kontext pro Tag. Damit sind wir die weltgrößte Live-Datenbank, die Informationen bietet, wie sich Job- und Arbeitnehmer:innen-Profile verändern. Dies ist unser Alleinstellungsmerkmal.

Mit einer derart großen Datenmenge geht eine große Verantwortung einher. Wie geht Ihr damit um?

Wir sind sehr sensibel hinsichtlich der Verarbeitung von Informationen. Ich begrüße das sehr, denn ich bin nicht nur LinkedIn-Angestellter, sondern auch Privatperson und vertraue selbst auf den verantwortungsvollen Umgang mit meinen Daten. Der Einhaltung sämtlicher nationaler und internationaler Richtlinien und Gesetze diesbezüglich sind wir natürlich verpflichtet. Nicht zuletzt durch unsere Zugehörigkeit zu Microsoft haben wir technologisch die optimalen Möglichkeiten, dies auch zu gewährleisten und umzusetzen. Für uns ist Vertrauen die wichtigste Währung. Wenn wir Vertrauen verspielen, dann haben wir verloren.

Mein Eindruck ist, dass Beiträge bei LinkedIn zunehmend privater Natur sind. Sehen wir eine zunehmende „Instagramisierung“ von LinkedIn?

Durch Corona sind berufliche und private Aspekte enger zusammengewachsen, was sich auch visuell niederschlägt. Dies ist eine generelle Entwicklung und keine spezifische Plattformtendenz. Self-Branding spielt eine große Rolle und hat heute eine größere private Dimension. Kandidat:innen möchten ihre berufliche Motivation untermauern und auch ihre Persönlichkeit in all ihren Facetten präsentieren. Ich finde es legitim, zu zeigen, was dich als Mensch, Mitarbeiter:in oder als Arbeitgeber ausmacht. Trotz einer Milliarde Mitgliedern ist LinkedIn immer noch eine Community. Eine Community, die gut funktioniert und über ein sehr hohes Maß an Selbstregulierung verfügt.

Wie gewährleistet Ihr die Qualität des nutzergenerierten Contents?

In den letzten Jahren haben wir erheblich in ein Content-Team investiert. Diese Mitarbeiter:innen sind ständig auf der Suche nach qualitativ hochwertigen Inhalten, sogenanntem Gold-Content, relevanten Themen und interessanten Thought Leadern. Derartige Aufgaben überlassen wir nicht einem Algorithmus, sondern vertrauen auf unsere Redaktion, bestehend aus ausgebildeten Journalist:innen und Editor:innen, die in den beiden LinkedIn-Büros in Berlin und München tätig sind. Diese Ergebnisse sind am Ende ausschlaggebend, ob die Nutzer:innen die App öffnen oder nicht. So erzeugen wir Relevanz.

Zum Abschluss: Quo Vadis LinkedIn?

Das Potenzial der Plattform, die von Reid Hoffman und Allen Blue gegründet wurde und als klassische Garagen-Story begann, ist aus meiner Sicht bei weitem noch nicht ausgereizt. Es gibt eine Vielzahl von Möglichkeiten, beispielsweise rund um die Monetarisierung von Produkten und Dienstleistungen, die im Sinne eines LinkedIn-Stores oder Dienstleistungsnetzwerks integriert werden kann. Doch bei all diesen Expansionsgedanken müssen wir sicherstellen, dass die Plattform klare Benefits bringt, Spaß macht – und nicht nervt.

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