Führungsmodell der Zukunft?

Top-Sharing: Verantwortung ist teilbar

13.02.2024

Insbesondere in Führungspositionen können sich Arbeitgeber häufig keine Teilzeitbesetzung vorstellen. Doch der steigende Fach- und Führungskräftemangel zwingt Unternehmen, herkömmliche Beschäftigungsmuster zu überdenken, um Mitarbeiter:innen zu halten und zu gewinnen. Eine vielversprechende Lösung ist das sogenannte Top-Sharing, also Job-Sharing auf Führungsebene. 

Dörte Stadtbäumer und Michaela Tietz gibt es nur im Doppelpack: Seit 13 Jahren teilen sich „Stadt-Tietz“ ihre Jobs. Aktuell leiten sie das Team Innovation Management im Ressort Product Life Cycle an der SRH Fernhochschule. Im TOPOS-Interview berichten sie, wie „Top-Sharing“ funktioniert.

Top-Sharing - Dörte Stadtbäumer & Michaela Tietz

Dörte Stadtbäumer & Michaela Tietz,
SRH Fernhochschule

Insbesondere in Führungspositionen können sich Arbeitgeber häufig keine Teilzeitbesetzung vorstellen. Doch der steigende Fach- und Führungskräftemangel zwingt Unternehmen, herkömmliche Beschäftigungsmuster zu überdenken, um Mitarbeiter:innen zu halten und zu gewinnen. Eine vielversprechende Lösung ist das sogenannte Top-Sharing, also Job-Sharing auf Führungsebene. 

Dörte Stadtbäumer und Michaela Tietz gibt es nur im Doppelpack: Seit 13 Jahren teilen sich „Stadt-Tietz“ ihre Jobs. Aktuell leiten sie das Team Innovation Management im Ressort Product Life Cycle an der SRH Fernhochschule. Im TOPOS-Interview berichten sie, wie „Top-Sharing“ funktioniert.

Top-Sharing - Dörte Stadtbäumer & Michaela Tietz

Dörte Stadtbäumer & Michaela Tietz, SRH Fernhochschule

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, sich eine Position zu teilen?

Dörte Stadtbäumer: Michaela Tietz und ich haben uns vor 20 Jahren während unserer beruflichen Anfänge bei der Europäischen Fernhochschule Hamburg kennengelernt und gleich eine gute Verbindung gehabt. Nach der Geburt unserer Kinder haben wir uns während der jeweiligen Elternzeiten vertreten. Als ich merkte, dass ich als Leitung des Studienbetriebes in Teilzeit nicht weiter vorankam, habe ich mich 2010 in Teilzeit auf eine andere Stelle beworben. Ich erhielt ein sehr positives Feedback, doch diese Position sollte in Vollzeit besetzt werden. Die Personalverantwortliche schlug vor, sich wieder zu melden, sollte sie eine weitere Person in Teilzeit für die Stelle finden. Ich habe mich gefragt, warum das Unternehmen das Matching übernehmen muss – das kann ich auch! Ich habe Michaela gefragt, ob sie sich eine gemeinsame Bewerbung vorstellen kann. Und sie konnte. Auf alle Tandem-Bewerbungen, die wir damals verschickt haben, folgten Gesprächseinladungen – eine Erfolgsquote von 100 Prozent.

War die Resonanz ernst gemeint oder eher Neugierde auf Ihr unkonventionelles Arbeitsmodell?

Michaela Tietz: Es war eine Mischung aus beidem. Damals war das Modell noch sehr exotisch. Aber wir haben uns nicht nur als Personen vorgestellt, sondern auch konkrete Ideen angeboten. Und diese Ideen waren wahrscheinlich ausschlaggebend, dass man sich einmal anschauen wollte, was dieses Tandem vorzuschlagen hat und was es kann. Aus den Gesprächen haben sich mehrere Jobangebote ergeben. Zu dieser Zeit wussten wir nur von einem weiteren Top-Sharing-Duo, das sich in einem großen Konzern einen Job teilte. Inzwischen hat sich dieses Konzept weiter etabliert, ist aber sicher noch nicht in der Breite, und vor allem nicht auf Führungsebene, angekommen.

Wie gestaltet sich Ihre konkrete Arbeitsteilung?

Dörte Stadtbäumer: Gleich in unserer ersten Tandem-Stelle haben wir so begonnen: Montags und dienstags war ich im Dienst, mittwochs erfolgte eine Art Staffelstab-Übergabe und konzeptionelle Themen wurden besprochen, donnerstags und freitags setzte Michaela die Arbeit fort. Es ist ein großartiges Gefühl, dass die Arbeit nahtlos weitergeht und nicht liegen bleibt. Wir stehen auch heute noch in engem Austausch, um bei den anstehenden Themen und Projekten immer auf dem neuesten Stand zu sein. Jede ist zu jedem Thema ansprechbar und in der Lage, qualifizierte Aussagen und Entscheidungen zu treffen. Wir haben einen gemeinsamen Kalender und mit „Stadt-Tietz“ eine gemeinsame E-Mail-Adresse, sodass sich unser Gegenüber nicht überlegen muss, wen er oder sie anspricht. Die Kollegin, die gerade da ist, kümmert sich. Wir führen gemeinsam Jahresgespräche mit unseren Mitarbeiter:innen und bekommen gemeinsame Bewertungen von unserer Vorgesetzten.

Funktionieren Frauen als Duo besser als Männer?

Michaela Tietz: Ich glaube, dass auch Männer-Duos sehr gut funktionieren können. Es hängt immer von den beteiligten Personen und der Frage ab: Will man sich mit Haut und Haar auf ein Tandem einlassen? Zumindest in unserem Fall ist es ein solches Commitment, da wir uns den Job konsequent teilen. Es gibt andere Konstellationen, die Aufgaben oder Schwerpunkte klar trennen. Dafür braucht man nicht Haut und Haar, dafür reicht auch ein bisschen weniger. Dass es gefühlt häufiger Frauen-Tandems gibt, liegt sicherlich eher daran, dass noch deutlich mehr Frauen in Teilzeit arbeiten möchten als Männer.

Welche Kriterien sind bei der Besetzung eines Top-Sharing-Tandems entscheidend? Sollten die Personen ähnlich ticken oder möglichst unterschiedlich sein?

Michaela Tietz: Sowohl als auch. Was uns eint, ist sicherlich ein ähnliches Arbeitsethos. Dass die Einstellung stimmt, ist aus meiner Sicht das Wichtigste. Eine gute Gemeinsamkeitsbasis ist unerlässlich, sonst wäre die Arbeit sicherlich schwieriger und es würde zu Energieverlusten kommen. Wir wollen schnell sein und Abstimmungsprozesse so kurz wie möglich halten. In der Sache sind wir uns oft einig, bis zum Ziel wird aber auch diskutiert. Wir ergänzen uns optimal, haben aber auch unterschiedliche Perspektiven und das sehe ich als großen Vorteil. Bei komplexen Fragestellungen können wir die Gedanken durch zwei Köpfe kreisen lassen, kritische Aspekte von zwei Seiten betrachten und am Ende dadurch ein besseres Ergebnis erzielen. Davon profitieren wir, aber auch unser Arbeitgeber. Das Ganze ist bekanntlich mehr als die Summe der Teile.

Wie gehen Sie damit um, Führungsentscheidungen zu treffen, wenn keine gemeinsame Absprache stattgefunden hat? Wie gewährleisten Sie, dass Sie getroffene Entscheidungen gemeinsam vertreten können?

Michaela Tietz: Das ist eine Frage, die uns in Vorstellungsgesprächen häufig gestellt wurde. Tatsächlich gab es diesbezüglich noch nie ein Problem. In der Regel erfolgt bereits im Vorfeld ein Austausch der Argumente. Wenn eine Entscheidung dann an einem Tag gefällt werden muss, an dem die Andere nicht da ist, wissen wir immer, dass die Entscheidungen wohlüberlegt und gut durchdacht sind.

Dörte Stadtbäumer: Falls ich zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre, sage ich das Michaela. Diskussionen darüber gibt es aber nicht, denn Entscheidungen müssen getroffen und gemeinsam getragen werden. Wenn man das richtige Mindset hat und beide Partnerinnen sich verantwortlich fühlen, was soll da schiefgehen? Wir sitzen in einem Boot und tragen die Verantwortung und damit auch die Konsequenzen gemeinsam.

Entscheidungen müssen getroffen und gemeinsam getragen werden.

Waren Sie von Anfang an ein so gut eingespieltes Team? Oder gab es eine Phase, in der Sie ihre Job-Sharing-Entscheidung hinterfragt haben?

Michaela Tietz: Man wird ja nicht von jetzt auf gleich zum Tandem. Durch die Vertretungen während der Elternzeiten hatten wir bereits im Vorfeld die Gelegenheit, uns eingehend kennenzulernen und herauszufinden, wie die andere Person arbeitet und agiert. Wir standen in sehr engem Austausch und sind nach und nach zusammengewachsen. Für uns war und ist es genau die richtige Entscheidung. Wir sind äußerst zufrieden mit unserem Arbeitsmodell und haben vor, diesen Weg weiter gemeinsam zu gehen.

Würden Sie sagen, dass der Kommunikationsaufwand zwischen Ihnen im Laufe der Zeit abgenommen hat?

Dörte Stadtbäumer: In den ersten Monaten unseres Job-Sharings haben wir uns sehr darum bemüht, sicherzustellen, dass unsere interne Abstimmung für den Arbeitgeber nicht spürbar ist. Dies erforderte anfänglich einige Überstunden, um unsere Arbeitsprozesse zu optimieren. Mittlerweile funktionieren wir wie ein gut geöltes Uhrwerk, bei dem jedes Zahnrad reibungslos ineinandergreift. Unsere Kommunikation empfinden wir nicht als Aufwand, sondern als effizienten Prozess. Allerdings erfordert diese spezielle Konstellation eine erhöhte Arbeitsdisziplin. Im Alleingang zu arbeiten, ermöglicht es einem, sich selbst zu vergewissern: „Ich bekomme das schon hin“, denn man muss sich lediglich vor sich selbst rechtfertigen. Bei uns hingegen müssen wir jede unserer Handlungen vor der anderen Person vertreten, was eine höhere Strukturiertheit und Verantwortlichkeit erfordert.

Gab es Versuche von Mitarbeiter:innen oder sogar Vorgesetzten, Sie gegeneinander auszuspielen?

Dörte Stadtbäumer: Unsere Abstimmungsroutinen sind bekannt, insofern wären solche Versuche von vornherein zum Scheitern verurteilt. Außerdem arbeiten wir mit Menschen, denen wir auch vertrauen. Dass bei Kleinigkeiten Person A anstatt B gefragt wird, da man sich eine bestimmte Reaktion erhofft, mag in den Jahren vorgekommen sein. Bei relevanten Fragen sicher nicht, jeder weiß, dass wir miteinander im Dialog stehen. Interessanterweise wird uns in diesem Zusammenhang eher gespiegelt, dass Kolleg:innen am liebsten immer beide Meinungen einholen würden, um zwei Blickwinkel auf ein Thema zu bekommen.

Wie reagieren neue Mitarbeiter:innen oder externe Partner und Stakeholder auf Ihr Job-Sharing-Modell?

Michaela Tietz: Generell erhalten wir sehr positives und interessiertes Feedback. In der Zusammenarbeit erfolgt zu Beginn gelegentlich eine Art kurzes Onboarding,  beispielsweise zur gemeinsamen E-Mail-Adresse. Nennenswerte Schwierigkeiten oder negative Reaktionen gab es bisher nicht.

Diskussionen um die Vier-Tage-Woche, Arbeitszeitreduzierung oder flexiblere Arbeitszeitmodelle häufen sich. Kann Job-Sharing eine Antwort auf die Herausforderungen unserer Zeit sein?

Dörte Stadtbäumer: Definitiv. Ich glaube, alle Modelle, die eine Flexibilisierung vorantreiben, sind förderungswürdig – nichts zuletzt vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels, der sich, wie wir alle wissen, immer weiter verschärfen wird. Arbeitgeber bemühen sich, attraktiv zu bleiben. Job-Sharing bietet viel Freiraum für die Arbeitnehmer:innen, und für den Arbeitgeber ergeben sich keine Nachteile: Das Unternehmen hat Vollzeit kompetente Ansprechpartner:in und muss sich keine Gedanken darüber machen, wer gerade „in Charge“ ist. Ich wüsste nicht, was es daran auszusetzen gäbe – auch nach so vielen Jahren nicht. Menschen, die nicht Vollzeit arbeiten möchten oder können, ermöglicht das Konzept, auch in Teilzeit ihre berufliche Entwicklung fortzusetzen. Dies kann nach Auszeiten den Wiedereinstieg in den Beruf erleichtern und dazu beitragen, dass Menschen ihre Karriereziele trotz reduzierter Arbeitszeit weiterverfolgen können. Aber auch für Personen, die ihre individuelle Work-Life-Balance umsetzen möchten, kann geteilte Verantwortung eine Möglichkeit sein. Insgesamt ist es sicher nicht für jede:n das perfekte Arbeitsmodell, und wir möchten auch nicht missionieren, aber für uns ist es perfekt und wir glauben, dass es für viele andere auch eine gute Option sein kann.

Was würden Sie potenziellen Top-Sharing-Partner:innen mit auf den Weg geben?

Michaela Tietz: Stellt sicher, dass die Geschäftsführung uneingeschränkt hinter der vereinbarten Regelung steht. Das Vertrauen seitens der Geschäftsführung in die Fähigkeiten und die Zusammenarbeit der Top-Sharing-Partner:innen ist unerlässlich. Die zentrale Bedeutung dieses Aspekts kann nicht genug betont werden. Die Geschäftsführung sollte keine Unterscheidung zwischen den Partner:innen treffen und nicht in Kompetenzvermutung, die Eine oder die Andere ansprechen.

Dörte Stadtbäumer: Die persönliche Kompatibilität, eine möglichst deckungsgleiche Arbeitseinstellung und die Fähigkeit, effektiv zusammenzuarbeiten, sind weitere wichtige Faktoren für eine stabile Partnerschaft. Wer beginnt, in dieser Form zu arbeiten, sollte eine echte Leidenschaft für das Konzept mitbringen und es als langfristige Lösung ansehen. Zwar können sich Lebensumstände und im Zuge dessen die Präferenzen mit der Zeit verändern, aber die Grundvoraussetzung ist, dass man dauerhaft Lust auf eine Tandem-Lösung hat.

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