Digitale Nomaden: Wie Internationales Leben gelingt
Bastian Barami gilt als einer der Vorreiter des ortsunabhängigen Arbeitens in Deutschland. Mit 30 war er ganz unten: zwei abgebrochene Lehramt-Studien, dazwischen eine Lehre als Hotelfachmann und eine prophylaktische, eklatant misslungene Knieoperation, die zehn Folgeoperationen erforderte und sowohl die Arbeit im Hotel unmöglich machte als auch seinen privaten Lebensinhalt, das Basketballspielen, pulverisierte.
Heute, fünf Jahre später, ist er erfolgreicher Online-Unternehmer, Speaker und Blogger, arbeitet selbstbestimmt und vor allem: nur da, wo es ihm gefällt. Aktuell ist das Chiang Mai im Norden Thailands, wo er den Corona-Lockdown verbracht hat und Zeit für ein Gespräch mit TOPOS hatte.
sondern nur eine Entscheidung.“
New Work ist aktuell in aller Munde. Digitales Nomadentum und ortsunabhängiges Arbeiten gehen noch ein Schritt weiter. Wie bist Du dazu gekommen?
Ich wollte beruflich immer etwas tun, das mir erlaubt zu reisen. Daher hatte ich mich für eine Lehre als Hotelfachmann entschieden. Ich dachte, drei Jahre kann man schon mal durchknüppeln und dann geht es ab in die Welt. Ganz naiv habe ich nicht gecheckt, dass man in erster Linie buckelt, aber extrem schlecht verdient. Als ich aufgrund einer schief gegangenen „vorbeugenden“ Knie-OP, die mir unnötig aufgeschwatzt wurde, körperlich nicht mehr im Hotel arbeiten konnte und auch meinen sportlichen Ausgleich verloren hatte, fiel ich erst mal in ein tiefes mentales Loch. Ich begann zum zweiten Mal Lehramt zu studieren, war aber überrascht, wie sehr sich meine Wünsche und Vorstellungen im Vergleich zu meinem ersten Uni-Anlauf verändert hatten. Ich fand die Vorstellung, etwas zu studieren, um es für den Rest meines Lebens zu tun, völlig absurd. Ich habe alles infrage gestellt und schließlich das Studium geschmissen. Gleichzeitig hatte ich aber hohe Konsumschulden, die mich komplett aus der Komfortzone gezwungen haben: Ich habe klinische Studien mitgemacht, in einem Burger-Laden gearbeitet und in der Sparkasse am Wuppertaler Hauptbahnhof Toiletten geputzt und Junkie-Nadeln aufgesammelt. Am Ende hatte ich nicht mal mehr Geld für eine Briefmarke, um meinem Gläubiger zu schreiben. „Erst wenn Du nichts mehr zu verlieren hast, hast Du die Freiheit alles zu tun.“ Das ist nicht von mir, sondern aus dem Film „Fight Club“, aber es beschreibt meine damalige Situation ziemlich genau.
So habe ich mir überlegt, was könnte ich vom Laptop aus tun, was mir ermöglicht zu reisen? Ich bin der Meinung, dass man sich alles aneignen kann, wenn man einen einigermaßen gesunden Menschenverstand hat und nicht gerade Astronaut werden will. Ich habe über Digitale Nomaden gelesen und zu Onlineunternehmertum recherchiert, mir im Internet alle möglichen Online-Kurse reingezogen und so meinen eigenen Lehrplan zusammengestellt. Für mich war klar, ich möchte nicht als Angestellter arbeiten, sondern selbstbestimmt und autonom. Also musste ich mir mein Einkommen selbst kreieren. Viele sagen, man solle seine Leidenschaft zum Beruf machen, aber das halte ich für heiße Luft. Ich fragte mich, wie soll mein tägliches Leben aussehen und wie kann ich mir ein Auskommen darum herum stricken? Das klappte für mich über FBA (Fulfillment by Amazon). Mithilfe eines Online-Kurses brachte ich mir bei, wie man im E-Commerce die Logistikleistungen von Amazon nutzt. Ich wollte etwas verkaufen, was Relevanz hat, nicht saisonal oder risikobehaftet und im Einstieg günstig ist: Hundeleinen! Ich saß in Kolumbien, habe mir bei alibaba.com Hundeleinen und Halsbänder bestellt, auf der nächsten Plattform ein Logo designen lassen und meine eigene Haustier-Marke aus dem Boden gestampft. Ich hatte niemals einen Hund. Das alles war nicht meine Leidenschaft, hat mir aber den Lifestyle ermöglicht, den ich wollte: International leben und selbstbestimmt arbeiten.
nur ein besserer Kellner.“
Nach dem Online-Handel hast dann Deine eigenen Erfahrungen monetarisiert …
Das Wissen, das ich auf all den verschiedenen Blogs und Plattformen förmlich aufgesaugt hatte, wollte ich – mit meinem persönlichen Beitrag versehen – weitergeben. Wahrscheinlich kam da das Lehrer-Gen wieder durch. So habe ich parallel einen Blog gestartet, auf dem ich dokumentiere, was ich ausprobiert habe, was funktioniert und was nicht. Damit war ich genau zum richtigen Zeitpunkt, zu Beginn des Digitalen Nomadentums, in Deutschland aktiv, so dass ich in der Szene schnell einen Namen hatte. Sechs Monate nach dem ich die Uni abgebrochen hatte, verdiente ich genug, um Arbeiten und Reisen zu kombinieren; acht Monate danach hatte ich ein höheres Einkommen als ich es als Lehrer jemals gehabt hätte. Die Dinge funktionierten. Da gab es kein Zurück mehr.
Du hast auf Deinen Reisen meist in Airbnb-Wohnungen gelebt. Was hat Dich bewogen, auch daraus ein Geschäftsmodell zu machen?
Ich habe mir ein paar Home Bases auf der Welt geschaffen – aktuell habe ich sieben Wohnungen –, die ich in meiner Abwesenheit nicht leer stehen lassen wollte. Bei der Beschäftigung mit Kurzzeitvermietung habe ich festgestellt, dass es haufenweise Tools gibt, die einem ermöglichen, das Business zu automatisieren und aus der Ferne zu steuern. Ich habe einen Videographer angeheuert und eine Case Study anhand einer Wohnung in Chiang Mai in Thailand dokumentiert. Das Ganze habe ich dann als Onlinekurs aufbereitet, der den Usern alle notwendigen Tools an die Hand gibt, um selbst mit Airbnb ein ortsunabhängiges Einkommen zu generieren – und gleichzeitig um die Welt zu reisen. In den drei Jahren zuvor hatte ich bereits meine eigene Audience aufgebaut, die an meinem Lifestyle interessiert ist und der ich Wege zum Internationalem Arbeiten aufgezeigt habe, und so hat mein Kurs in eineinhalb Jahren rund 1,2 Millionen Euro Umsatz gebracht. An dem Kurs habe ich drei Monate intensiv gearbeitet. Das zeigt das Potenzial von digitalen Produkten.
Man assoziiert mit freiem Leben immer ein bisschen Hippietum und klapprige VW-Busse. Was unterscheidet Digitale Nomaden von Backpackern? Nur das Geschäftsmodell im Hintergrund?
Digitale Nomaden sind eher eine Gegenbewegung. Ich habe viele Weltreisende getroffen und erlebt, dass sie nur temporär frei sind. Die haben in der Corporate World geackert und geackert, um sich die Reise zu ermöglichen und konnten ihre letzten Destinationen kaum noch genießen, weil das „Hamsterrad“ wieder näher rückte. Das hat mir immer fast das Herz gebrochen. Freiheit bedeutet, sich nicht von außen bestimmen zu lassen. Und das ist bei den meisten Backpackern nicht der Fall. Aber ich verstehe mich mittlerweile auch nicht mehr als Digitaler Nomade, weil ich entscheiden habe, für eine gewisse Dauer in Thailand zu leben, wo ich auch in den letzten zwei Jahren überwiegend war.
Würdest Du sagen, Du bist angekommen? Man sagt ja immer, man ginge von etwas weg oder auf etwas zu. In welcher Phase bist Du?
Anfangs hat man etwas missionarisches und denkt, man habe den ultimativen Lifestyle gefunden, von dem man jeden überzeugen müsse. Aber man lernt permanent dazu und die Perspektiven ändern sich. Mittlerweile habe ich das Bedürfnis, mich wieder etwas zu settlen. Reisen ist auch extrem anstrengend, man opfert sehr viel Zeit und Produktivität, wenn jeder Tag anders ist. Ich habe mir in Thailand ein Haus gekauft, um einen komfortablen Ausgangspunkt für meine nächsten unternehmerischen Schritte zu haben – mein Online-Kurs ist ja auch kein Evergreen. Allerdings wollte ich auch nicht auf die enorme Energie verzichten, die sich aus der Interaktion mit „Gleichgesinnten“ entwickelt. Wenn ich auf meinen Reisen Menschen aus aller Welt mit einem ähnlichen Mindset getroffen habe, haben wir uns oft für eine gewisse Zeit ein Haus genommen, zusammengearbeitet und etwas Neues geschaffen. Das gibt mir unglaublich viel.
Also habe ich auch in Chiang Mai ein Haus gemietet und als Co-working- bzw. Co-living-space angelegt, über den ich mir praktisch Gesellschaft ins Haus hole. Ich vermiete nur an Menschen, die auf meinem Ideen-Level liegen. Für mich ist Zuhause nicht zwingend ein Ort, sondern das Konzept von Multilokalität und es sind die Menschen, mit denen ich mich umgebe und die das gleiche Mindset haben wie ich. Insofern bin ich für den Moment angekommen, obwohl ich nicht weiß, ob ich ewig in Thailand bleibe, aber für den Moment plane ich nicht weiter voraus, wo es mich hin verschlägt. Dennoch kann jederzeit etwas passieren, was das Leben in eine komplett andere Richtung lenkt.
Kann man mit Deinem Lebensentwurf überhaupt Freundschaften schließen?
Fast alle meine engen Freunde habe ich in den letzten fünf Jahren kennengelernt und treffe sie an den verschiedensten Orten auf der Welt. Das funktioniert natürlich schon deshalb so gut, weil wir alle auf einem Nenner liegen und keine große Erwartungshaltung haben. Viele machen die Qualität einer Freundschaft davon abhängig, wie oft man sich sieht – gerade in Deutschland. Ich denke, das lenkt oft nur davon ab, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen.
Als ich mit 30 mein zweites Studium geschmissen, mich selbständig gemacht habe und nicht wusste, ob irgendetwas von dem was ich vor hatte funktionieren würde, zog ich mir über drei Monate WordPress-Tutorials rein, um meine eigene Website aufzubauen. Ich hatte keine Zeit, um mit meinen Kumpels um die Häuser zu ziehen. Ich erklärte, was ich tue und warum ich mich auf mein Projekt konzentrieren muss, doch dafür war kein Verständnis da. Ich dachte, Moment mal, seid ihr jetzt meine Freunde und gebt ihr mir den Raum, mich zu entwickeln und für mich etwas aufzubauen oder lasst Ihr mich fallen, weil ich mit Euch kein Bier heben gehe, um über Frauen, Fußball und alte Zeiten zu reden oder darüber, wie scheiße ihr eure Jobs findet. Das konnten sie nicht akzeptieren. Es hat meinen Jungs den Spiegel vorgehalten, dass ich etwas mache, um meine Situation zu verändern und sie nicht. Menschen nehmen etwas nur dann persönlich, wenn man den Nerv trifft. Ich will keine mentale Kapazität darauf verschwenden, so zu agieren, wie es von mir erwartet wird. Man sagt ja, man ist der Durchschnitt der fünf Menschen mit denen man die meiste Zeit verbringt und die sind in meinen Fall nicht in Wuppertal, wo ich herkomme.
Wuppertal in leere Augen geguckt.“
Was sind die häufigsten Fragen, die Dir gestellt werden?
Ich persönlich versuche, nichts zu tun, was ich nicht machen möchte. Das heißt nicht, dass ich nicht fleißig bin und nicht hart arbeite. Manchmal muss man sich durchbeißen, aber ich bemühe mich, Dinge zu meiden, die mich runterziehen. Ich bin z.B. schlecht in Mathe, ich kann bis heute kein Excel. Ich hatte drei Jahre lang meine Firma in Deutschland und bin halb wahnsinnig geworden wegen der formalen Anforderungen. Ich habe mich schlau gemacht wie es anders gehen kann, habe meine Firma online in Kanada angemeldet, ich war im Leben nicht in Kanada, aber dort brauche ich keine Buchhaltung und zahle keine Steuern. Ich betreibe leidenschaftlich Life-Hacking und versuche immer Wege zu finden, um meine Probleme zu lösen.
Wie viele Menschen sind aktuell Digitale Nomaden und wie groß ist Dein persönliches Netzwerk?
Das ist schwer zu beantworten. Es kursieren Zahlen, dass weltweit Millionen Digitale Nomaden unterwegs sein sollen. In Deutschland existiert mit der „Digitale Nomaden Community (DNX)“ eine Facebook-Gruppe zum Thema, die sich als größte Community für Freiheitsliebende bezeichnet und derzeit ca. 20.000 Mitglieder hat. Da sind sicherlich überwiegend Interessierte dabei, die fasziniert sind, aber vielleicht nie ihre Sachen packen. Ich schätze, es sind in Deutschland etwa 2.000, die dieses Leben tatsächlich leben, global natürlich weit mehr. Zu meiner officeflucht-Facebook-Gruppe gehören derzeit rund 8.000 Menschen und in meiner Airbnb-Kurs-Gruppe sind es rund 3.000 Aktive, die sich über ihre Pläne und Erfolge austauschen und sich damit gegenseitig inspirieren und befeuern.
Wie hat Dich Corona getroffen?
Spannend ist auch der Punkt New Work: Früher waren die Digitalen Nomaden die Einhörner, ein paar Leute, die remote arbeiten. Wir wurden belächelt. Plötzlich „können“ alle Video-Konferenzen – da muss ich lächeln und frage mich: „Hinter welchem drei Meter dicken Hinkelstein haben die denn gelebt?“ Aber es ist ein weiterer Schritt in Richtung Selbstbestimmung. Wenn dieser Shift kommt, dass Menschen selbstbestimmt arbeiten können, dann werden sie einfach produktiver. Niemand kann acht Stunden am Tag produktiv sein, das geht gar nicht, höchstens die Hälfte. Menschen stehen um sechs Uhr morgens auf, quälen sich ihr Frühstück rein, springen frustriert in den Bus, arbeiten acht Stunden und kommen – vier Monate im Jahr auch noch im Dunkeln – wieder nach Hause. Sie sehen ihre Lebenszeit an sich vorbeiziehen. Das Problem ist, dass Menschen für Anwesenheit und nicht für Ergebnisse bezahlt werden. Dabei wollen immer mehr selbstbestimmt und ergebnisorientiert arbeiten. Es ist nicht mehr unbedingt der Top-Konzern und der Firmenwagen, den junge Menschen mit tollen Ideen wollen. Es sind Autonomie und Sinnhaftigkeit, die sie bei ihrer Arbeit erwarten. Wenn sie das nicht bekommen, werden sie nicht bleiben. Hier muss Deutschland aufpassen, nicht abgehängt zu werden.
Himmel, aber sehen nicht
unbedingt den gleichen Horizont.“
Was ist Dein nächstes Projekt?
Ich werde ein Kinderbuch herausbringen, das auf spielerische Art und Weise unternehmerisches Grundwissen und den Umgang mit Geld transportiert, ohne den trockenen Beigeschmack, jetzt muss ich was lernen, sondern in Form eines Comics mit Superhelden und einem Plot, der all den kreativen Spirit, den Kinder haben, mitnimmt. Wenn man Kinder mit sechs Jahren auf einen Stuhl setzt und sagt: „Klappe halten, zuhören!“, dann ist der Spirit einfach gebrochen. Mir geht es nicht darum, die CEO von morgen zu züchten und ihnen zu zeigen, wie sie besonders viel Geld verdienen. Die Jobs, die Kinder in Zukunft machen werden, gibt es heute sowieso noch nicht. Die Lehrer, und das weiß ich, weil ich zweimal auf Lehramt studiert habe, haben davon überhaupt keine Ahnung.
Jeder kann sich heute seinen Traumjob selbst gestalten, man muss nur wissen was man will und den Mut haben, seinen Status Quo zu ändern. Das finde ich unfassbar faszinierend. Früher haben Menschen noch Jahrzehnte gebraucht, um sich etwas aufzubauen. Heute schaffst Du das in wenigen Monaten. Um sein Leben zu verändern, gibt es keine Ausrede mehr.
Bastian, alles Gute nach Chiang Mai und Danke für das Gespräch!
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