Herausforderungen für den Mittelstand

Wie sieht die Zukunft des Recruitings aus?

20.12.2022

Von Heiko Nies - Das HR-Bureau®

Heiko Nies

Heiko Nies ist Diplom-Psychologe und hat viele Jahre Erfahrungen in verschiedenen HR-Leitungspositionen gesammelt.

Mit seinem Unternehmen, DAS HR BUREAU®, unterstützt er kleine und mittelständische Unternehmen bei allen Aufgaben des Personalmanagements. Eines seiner Lieblingsthemen ist dabei die Rekrutierung von Mitarbeiter:innen.

Fachkräftemangel ist als Begriff nicht mehr adäquat, um das Ausmaß der heraufziehenden Probleme zu beschreiben. Stattdessen ist bereits jetzt in vielen Branchen von der großen „Arbeiterlosigkeit“ als Herausforderung der Zukunft die Rede. Was also tun, um Talente anzuheuern?

In den letzten Jahren hört man im Recruitment immer häufiger den Begriff „Active Sourcing“, der beschreibt, dass potenzielle Kandidat:innen direkt angesprochen und motiviert werden, sich bei Unternehmen für bestimmte Stellen zu bewerben. Meist finden sie diese in den üblichen sozialen Netzwerken wie z. B. XING, LinkedIn oder auch Facebook. Bei gefragten Kandidat:innen hat sich diese Art der Ansprache zum Teil bereits abgenutzt.

So ist die nächste Eskalationsstufe bereits gezündet und wird in der Fachterminologie als „Reverse Recruitment“ bezeichnet. Hier bewirbt sich das Unternehmen regelrecht bei Kandidat:innen als Arbeitgeber. Die ersten Plattformen für diese Art der Stellenbesetzung haben sich bereits etabliert. Was sich zunächst skurril anhört, ist bei genauerer Betrachtung eine gute Chance, insbesondere für kleine und mittelständische Unternehmen, die keine voluminösen Budgets für geldverschlingende Employer-Branding-Kampagnen haben, deren Streuverluste meist enorm sind: Zielgerichtet können Kandidat:innen gesucht werden, die höchstwahrscheinlich zum eigenen Unternehmen passen und die Personalabteilung kann mit wenig Aufwand einen Kontakt per Bewerbung herstellen. Mit fehlerfreiem und überzeugendem Anschreiben, einer Vita des Unternehmens und eventuell mit einem Link zu weiteren Informationen. Genau so, wie sie es in der Vergangenheit von den Kandidat:innen erwartet hat. Nur eben umgekehrt.

„Vertriebssache Unternehmen“: Wofür stehen wir?

Gewiss lohnt sich auch ein Blick in benachbarte Bereiche: Für das Umwerben von Kandidat:innen und die kontinuierliche Kommunikation mit potenziellen Stelleninhaber:innen können die meisten Personalabteilungen viel aus anderen Abteilungen lernen, insbesondere aus denen, die das Vertriebshandwerk beherrschen. Vielleicht steht CRM zukünftig (auch) für Candidate-Relationship-Management?! Es sei allen Personalverantwortlichen empfohlen, sich intensiv mit Vertriebstechniken und -methoden vertraut zu machen.

Dazu gehört auch, das „Produkt“ gut zu kennen. Häufig fällt es Firmen im Mittelstand schwer, sich mit ihrer Arbeitgebermarke klar zu positionieren. Gelegentlich werden dann Agenturen beauftragt, eine schillernde Marke zu kreieren, die sich oft am Vorbild großer Konzerne orientiert. Nach meiner Meinung ein klarer Fehler, da es hinterher meist schwierig ist, die bei den rekrutierten Neumitarbeitenden erzeugte Erwartungshaltung zu erfüllen. Und wenn das nicht gelingt, sind „die Neuen“ oft schneller wieder weg als man sie gefunden hat. Um diese Form der Ressourcenverschwendung zu vermeiden, erscheint es mir viel ratsamer, selbst zu überlegen, wofür das eigene Unternehmen steht und wie es wahrgenommen wird. Die Expertise ist gar nicht weit: Fragen Sie Ihr Team, Ihre Kundschaft und seien Sie selbstkritisch. Ist Ihre Vorstellung des Unternehmens ein Wunschbild? Oder eher eine Vision davon, wie das Unternehmen eigentlich sein sollte? Gleichen Sie Selbst- und Fremdbild ab und arbeiten heraus, warum Sie für Kandidat:innen attraktiv sein könnten! Unterstützend wirken hier authentische Filme oder Bilder, die „echte“ Einblicke in die eigene Firmenwelt ermöglichen. Dadurch können Sie sich vom Wettbewerb abgrenzen und klarstellen, was Sie zukünftigen Mitarbeiter:innen zu bieten haben. Ein guter erster Schritt, um auf diejenigen attraktiv zu wirken, die wirklich passen.

Frühzeitige Integration der nächsten Generation

Eine weitere Möglichkeit, Personal zu akquirieren, ist – neben der dualen Ausbildung – die frühzeitige Integration von Student:innen während ihrer akademischen Ausbildung. Früher wurde die Beschäftigung von Studierenden eher als kurzfristig verfügbare und preiswerte Personalreserve gesehen. Das sollte zukünftig vollständig neu bewertet werden: Der Einsatz junger Menschen während ihrer Ausbildung, gleich, ob duales Modell oder Studium, ist eine hervorragende Gelegenheit, das Unternehmen bei dieser Zielgruppe bekannt zu machen, Karrierepfade im direkten Gespräch aufzuzeigen und die Passung von potenziellen Kandidat:innen und Organisation zu prüfen. Es kommt darauf an, ins Gespräch zu kommen.

Cultural Fit - die wichtigste Passung?

Insgesamt wird es zukünftig immer wichtiger, nach Menschen zu suchen, die kulturell zum Unternehmen passen und grundsätzlich bereit sind, sich inhaltlich und fachlich weiterzuentwickeln, so dass die Übernahme des vollständigen Aufgabenumfangs vielleicht nicht unmittelbar nach Einstellung, sondern erst nach einer längeren Anlernphase realisiert werden kann. Stellenbeschreibungen müssen überdies wesentlich dynamischer gelebt werden als in der Vergangenheit. Das reine Abhaken von Erfahrungen, Kenntnissen und Qualifikationen während der Personalauswahl und die Ablehnung eines Bewerbers bzw. einer Bewerberin aufgrund einzelner offener Punkte gehört vermutlich bald der Vergangenheit an. Das bedeutet nicht, dass jeder verfügbare Kandidat oder jede Kandidatin zu akzeptieren ist, aber die Kriterien bei der Auswahl werden sich verlagern und die Rekrutierung wird viel flexibler vonstattengehen müssen. Eine Führungskraft aus einem großen IT-Unternehmen sagte mir neulich: „Wir rekrutieren ausschließlich nach Mindset, Skills können wir den Leuten selber beibringen“. Dazu bedarf es der entsprechenden Vorbereitung. Auch muss klar sein, dass solche Aktivitäten nicht morgen wirken, sondern langfristig gedacht und angelegt sein sollten.

Viele der beschriebenen Veränderungen sind bei den meisten Mitarbeitenden in den Personalabteilungen längst angekommen, scheinen jedoch immer noch manche Führungskraft zu irritieren. Erstaunlich oft erlebe ich in der Praxis Leitungspersonal, das zwar vom Führungskräftemangel schon einmal in der Zeitung gelesen hat, die Konsequenzen für das eigene Unternehmen aber vollständig ausblendet. Hier brauchen wir dringend eine Änderung der Erwartungshaltung: Die Zeiten, in denen aus einer Vielzahl perfekter Kandidat:innen ausgewählt werden konnte und man dazu alle Zeit der Welt hatte, sind vorbei. Auch Führungskräfte müssen im engen Schulterschluss mit ihren Personaler:innen schneller entscheiden und flexibler agieren, um die besten verfügbaren Persönlichkeiten für das eigene Unternehmen zu gewinnen. Und wenn diese Talente an Bord sind, muss man sich sorgsam um Onboarding und (Weiter-)Qualifizierung kümmern, um die neuen Team-Mitglieder in die Lage zu versetzen, ihren Anteil zum Unternehmenserfolg beizutragen. Nicht nur, weil das betriebswirtschaftlich nötig ist, sondern auch, weil genau diese Wirksamkeit dazu führt, dass Mitarbeitende ihre Arbeit als sinnstiftend erleben – eine der Voraussetzungen, um Menschen langfristig an Firmen zu binden.

Wir rekrutieren nach Mindset, Skills können wir den Leuten selber beibringen.

Rekrutierung findet heute bestenfalls auf Augenhöhe statt …

Ein wesentlicher Bestandteil der Rekrutierung ist dabei das Auswahlverfahren selbst: Die Geschwindigkeit, die von Kandidat:innen erwartet wird, ist enorm. Dennoch muss es im Interesse des Arbeitgebers sein, hinreichend sorgfältig zu prüfen, ob der oder die potenzielle neue Mitarbeitende zum Unternehmen passt, welche Fähigkeiten mitgebracht werden, was zusätzlich an Potenzialen vorhanden ist und ob die gegenseitigen Erwartungen zueinander passen. Das Machtgefüge hat sich längst verschoben; Rekrutierung findet heutzutage bestenfalls auf Augenhöhe statt und gerade deshalb ist es für beide Seiten wichtig, nach einem „Perfect Match“ zu streben. Das hat nicht nur Vorteile für die Arbeitgeberseite, sondern auch für Beschäftigte: Letztlich geht es bei der Auswahl darum, eine Prognose über den zukünftigen Erfolg bei der beruflichen Aufgabe zu stellen. Wenn sich daraus eine Situation ergibt, in der Mitarbeitende erfolgreich in ihrer Funktion sein können, ist dies eine der Grundlagen für berufliche Zufriedenheit und erzeugt Vorteile auf beiden Seiten.

Ex-Mitarbeiter:innen zu „Markenbotschaftern“ machen

Übrigens kann das auf der Zeitachse auch dazu führen, dass der „Match“ irgendwann nicht mehr „perfect“ ist: Die Anforderungen wurden überarbeitet oder die Wünsche und Ziele von Mitarbeitenden haben sich verändert. Auch diese Situation sollte offen kommuniziert werden und zu den richtigen Konsequenzen führen: Eine Person, die ein Unternehmen zufrieden und ohne Groll verlässt, ist zum einen ein hervorragender Botschafter und Multiplikator für Ihre Arbeitgebermarke und zum anderen potenziell jemand, der gerne ins Unternehmen zurückkehrt. Um diese Option aufrechtzuerhalten, ist es natürlich wichtig, mit Ehemaligen in Kontakt zu bleiben: Setzen Sie ein Alumni-Programm auf, halten Sie Kontakt über soziale Medien, treffen Sie sich mit Ehemaligen, wann immer möglich, und halten Sie die Türen offen!

Brauchen wir neue Mechanismen, um Talente zu halten?

Es ist wichtiger denn je, Persönlichkeiten, die bereits im Unternehmen sind, in den Mittelpunkt zu stellen. Wir sollten überlegen, wie sich die Bindung von Mitarbeiter:innen durch Krisen, Pandemie und Wertewandel verändert – und verändern muss. Die Arbeitswelt hat sich gewandelt. Die Rahmenbedingungen um uns herum auch – Great Resignation, hybrides Arbeiten als Standard, „Arbeiterlosigkeit“, Leistungsbereitschaft nachwachsender Generationen und Demographie – was bedeutet das für die Personalbindung? Müssen wir uns – als Unternehmen und Führungskräfte – neue Mechanismen überlegen, um Mitarbeitende im Unternehmen zu halten? Haben sich Ansprüche und Bedürfnisse verändert? Für Unternehmen ist es von großer Bedeutung, die Mitarbeitenden in den Mittelpunkt zu stellen, um sie langfristig zu binden und dadurch nicht nur Rekrutierungsaktivitäten zu vermeiden, sondern auch, um Wissen im Unternehmen zu halten und die Kultur langfristig zu verankern und zu tradieren. Themen wie hybrides Arbeiten und ganz individuelle Ideen zur Bindung von Arbeitskräften werden im Kampf um die besten Talente entscheidend sein.

Was wollen Mitarbeitende heute?


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Purpose

Der Dauerbrenner bei Befragungen nach Motivatoren ist „sinngebende und herausfordernde Tätigkeit“. Das also ist eine grundsätzliche Voraussetzung für einen attraktiven Arbeitsplatz!


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Team

Daneben finden sich in aktuellen Umfragen immer häufiger Nennungen, die sich als Bestreben nach Zugehörigkeit zusammenfassen lassen.


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Work-Life-Balance

Insbesondere jüngere Mitarbeiter:innen achten zunehmend darauf, dass Arbeit und Privates in eine gute Balance gebracht werden können.


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FAZIT

Zumindest diese drei Elemente können aus Arbeitnehmerperspektive als Grundbausteine eines attraktiven Arbeitsplatzes gelten. Wer als Arbeitgeber im eigenen Betrieb Elemente findet, die diese Wünsche tatsächlich erfüllen können, kann das gewiss mit Erfolg bei seinen Bemühungen um Arbeitskräfte nutzen. Sowohl bei der Suche nach externen als auch internen Talenten.

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