„Meine Maxime ist es, mich überflüssig zu machen.“
02.06.2020
Im Interview: Rudolf Menningen
Interim Manager sind in Deutschland gefragt wie nie. Nach Angaben des Branchenverbandes DDIM sind aktuell mehr als 9.000 „Manager auf Zeit“ auf den oberen Führungsebenen tätig. Dabei steigt sowohl der Umfang der Branchen als auch der Aufgabengebiete kontinuierlich an. Gefragt ist vor allem die Begleitung von Digitalisierungsprozessen in Change-Management-Projekten.
Rudolf Menningen ist Unternehmensberater und Interim Manger. Er steuert Unternehmen, die in Schieflage geratenen sind, durch die Krise und stellt sie neu auf. Seit fast 20 Jahren beschäftigt er sich mit Restrukturierungsprojekten und Turnaround-Management in den Bereichen Automotive, Chemie und Handel. Wir haben mit ihm über seine Einsätze und die speziellen Herausforderungen im Interim Management gesprochen.
Herr Menningen, was hat Sie veranlasst, sich als Interim Manager selbständig zu machen?
Zum Interim Management bin ich originär durch meine Beratungstätigkeit im Turnaround-Management gekommen. Vor fast 20 Jahren entwickelte man Restrukturierungskonzepte und setzte diese im Rahmen sogenannter „Realisierungen“ um. Nichts anderes ist heute Interim Management und wird im Bereich Restrukturierung gerne mit dem Titel „CRO“, also Chief Restructuring Officer, versehen. Wie so häufig hat auch mich die erste Arbeitsstelle dauerhaft geprägt und nicht mehr losgelassen.
Wie bekommen Sie Ihre Aufträge?
Als Alleinunterhalter bzw. kleine Organisation ist dies eine Hauptherausforderung, denn entweder man ist im Projekt voll eingebunden und hat keine Zeit für Akquise oder man ist im Wesentlichen ohne Projekt und damit in zeitlich ambitionierter Akquise. Allerdings ist das Interim-Management-Geschäft aus meiner Sicht ein überdurchschnittlich intensives Beziehungsmanagement. Ich habe bisher nur einen Auftrag originär ohne Beziehungsmanagement erhalten.
Wie war Ihr erster Auftrag? Gab es etwas, womit Sie überhaupt nicht gerechnet hatten?
Es kommt immer vieles anders als man denkt. Insbesondere sind die Anforderungen meiner Erfahrung nach grundsätzlich x-mal höher und die Situation y-mal dramatischer als sie zu Beginn dargestellt werden. Auch dauert es meist wesentlich länger als ursprünglich allseits erahnt wird. Mithin gibt es viele und dauerhaft immer neue Überraschungseffekte.
Wie lange dauern Ihre Stationen normalerweise?
Hinsichtlich der Tätigkeitsdauer ist theoretisch alles möglich. Ich persönlich habe aber noch keinen Einsatz unter sechs Monaten erlebt und komme im Mittel auf über zwei Jahre. Eine kurze Kündigungsfrist des Interim Managers schafft in jedem Fall Flexibilität auf beiden Seiten.
Was ist für einen Interim Manager wichtiger, die passende fachliche Ausrichtung oder eine generalistische Prägung?
Es kommt drauf an: Für fachspezifische Aufgaben ist sicherlich die passende fachliche Ausrichtung wichtig, doch für meinen restrukturierenden Einsatz sehe ich eine generalistische oder idealerweise multispezialistische Prägung als saldiert wichtigste Anforderung an, zu der sich, mindestens ebenso wichtig, die persönliche Eignung hinzugesellt. Denn die Chemie zwischen dem Interim Manager und dem Auftraggeber sowie seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern muss stimmen!
Welche persönlichen Eigenschaften sollte ein Interim Manager mitbringen? Es heißt, Interim Manager seien extrovertiert, anpackend und nicht unbedingt harmoniebedürftig…
Hier heißt es natürlich gerne viel und Verallgemeinerungen sind, wie in anderen Situationen auch, immer schwierig. Ein völlig introvertierter Mensch braucht sicherlich eine spezifische Interim-Management-Aufgabe. Anpackend sollte ein Manager grundsätzlich sein – anders als ein Berater, der aber zweifellos ebenfalls seine Existenzberechtigung hat. Auch die Harmoniebedürftigkeit endet bei einem Manager meiner Ansicht nach grundsätzlich dort, wo das Wohl einer Gesellschaft (im Sinne der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter) gegenüber dem Wohl des Einzelnen im Vordergrund steht – in aller Fairness und Authentizität.
Wenn Sie kommen, stehen Veränderungen an, oft geht es sogar um den Erhalt einer Firma. Die Erwartungshaltung ist groß, die Skepsis wahrscheinlich auch. Wie schaffen Sie es, die Mitarbeiter für Ihre Ideen zu gewinnen?
Vertrauen, Vertrauen, Vertrauen! Ohne das Vertrauen der verschiedenen Stakeholder gewinnt man meiner Erfahrung nach gar nichts. Dem schließt sich Dokumentation von Leistung und Authentizität an.
Sie kennen die Firmen kaum, die Sie holen, und müssen ihnen doch sagen, wo es langgeht. Wie überzeugen Sie die Stakeholder?
Zunächst höre ich ausführlich und intensiv zu! Innerhalb der Stakeholder gibt es grundsätzlich immer viele, die wissen wie es besser bis gut gehen könnte. Zuhören, plausibilisieren und strukturieren; inhaltlich auswerten, objektivieren und im Gesamtkontext verwerten. Dies sind nicht nur wesentliche Aufgaben am Anfang, sondern absolute Dauerbrenner. Das „Sagen-wo-es-lang-geht“ ist meist eine Kombination aus Erfahrung und der Aus- bzw. Verwertung der gewonnenen Informationen im Austausch mit den Leuten at stake.
Wie können Sie Fehler erkennen, die andere manchmal jahrelang übersehen?
Mein Vorteil ist die fehlende Betriebsblindheit, und im Übrigen ist es die konzentrierte, nüchterne und strukturierte Herangehensweise. Die menschliche Gewohnheit („das haben wir schon immer so gemacht“) ist am Ende nicht nur im Change Management und Kontinuierlichen Verbesserungsprozess (KVP) generell kritisch, sondern besonders in der Restrukturierung bzw. Sanierung.
Stellen Sie bestimmte Bedingungen z.B. in Bezug auf Befugnisse bevor Sie ein Mandat übernehmen?
Ich muss den Rückhalt der entsprechenden „Weisungsgebern“ haben – es muss grundsätzlich von den Entscheidungsträgern gewollt sein, dass ich da bin, und es muss mitsamt wesentlichem Vertrauen unterstützt werden was ich tue, sonst hat es keinen Sinn.
Gibt es typische Probleme in Unternehmen, die Ihnen immer wieder begegnen?
Ja, da gibt es zahlreiche. Leider werden 80 Prozent der Probleme im Management verursacht. Und nicht selten ist es alter Wein, der in neue Schläuche gefüllt wird. Die bereits angesprochene Gewohnheit tut ihr Übriges. Und eine mitunter arrogante Verkennung von Marktveränderung samt Demut gegenüber der eigenen zuweilen als historisch empfundenen Größe und Einflussstärke komplettiert die Risiken.
Interim Manager werden für ihre Unabhängigkeit von Machtstrukturen und Seilschaften gepriesen. Und sie streben keine Karriere im Unternehmen an. Sind diese Aspekte wirklich so ausschlaggebend?
Meines Erachtens ausdrücklich ja. Interim Manager kommen, um zu gehen. Meine Maxime ist es, mich überflüssig zu machen, wobei das auch für einen „normalen“ Manager gilt, ohne den die Abteilung oder das Unternehmen geradeaus laufen muss, während er für den zusätzlichen Auftrieb zuständig ist. Die Unabhängigkeit in Bezug auf die Neutralität gegenüber Machtstrukturen und Seilschaften ist speziell als Restrukturierer/CRO im Hinblick auf die sachliche Objektivierung von Veränderungsbedarf und Umsetzung unerlässlich. Mein Auftraggeber ist das Unternehmen im Sinne der Menschen, die hier ihr Geld verdienen – ausdrücklich nicht isoliert nur die Führungsverantwortlichen, Gesellschafter oder Finanzierer.
Haben Sie in Ihrer Interim Karriere mehr Arbeitsplätze abgeschafft oder gerettet?
Aufgabengemäß mehr gerettet als abgeschafft, wenngleich leider auch die Zahl der „Abschaffungen“ beträchtlich ist. Aber es geht immer um die Rettung der Gesellschaft, das heißt der Mehrheit der Menschen, die dort ihre Brötchen verdienen.
Gibt es ein Projekt, an das Sie sich besonders gern – oder lieber gar nicht – erinnern?
Hier ist es für mich wie bei Reisen – es gibt kein singulär bestes Projekt. Alle sind unterschiedlich und hatten und haben ihre Up- und Downsides. Selbstverständlich gibt es temporäre Downs bzw. zeitweise mehr Enttäuschungen und Probleme als Herausforderungen, im Saldo überwiegen aber die Ups, daraus ziehe ich meine Motivation, ohne die ich nicht leistungsfähig bin.
Die Interim Management-Branche wächst. Was sind aus Ihrer Sicht die Gründe für die Attraktivität von Interim Managern?
Veränderungsbedarf, Kontinuierlicher Veränderungsbedarf (KVB!) und wachsendes Projektmanagement. Und bei Restrukturierungsprojekten kommt ein Interim Manager meiner Meinung nach geradezu wie gerufen und geht nach Abschluss der Restrukturierung oder Sanierung wieder. Bevorstehende Megaveränderungen durch die Digitalisierung, andere Wortschwergewichte oder die fundamentalen Umbrüche, die wir im Zuge der Corona-Krise erleben, beflügeln die Restrukturierungs- und Sanierungsbranche – nach meiner Einschätzung mit Perspektive der Überauslastung.
Gekommen, um zu bleiben. Auch diesen Ansatz gibt es bei Interim Managern. Schaden diese Kollegen dem Image der Branche?
Jeder Case ist natürlich individuell und wer dem Unternehmen guttut, der kann natürlich auch bleiben. Sich auf diesem Wege „reinzudrängen“ finde ich persönlich grundsätzlich erst einmal nicht gut und dies erst recht nicht, sobald die Wertschöpfung nicht passt.
Wären Sie selbst schon einmal gern in einem Unternehmen geblieben?
Es ist eine besondere Herausforderung und gleichsam Kür, die Früchte der gesäten Samen auch einmal ernten zu können, doch durchweg wird einem dies Kraft Position und Titel verwehrt. Grundsätzlich gehe ich nie gerne, aber es geht um die Aufgabe und wenn diese erledigt ist, ist die Konsequenz klar.
Hätten Sie noch einen Tipp für angehende Interim Manager? Worauf sollte er oder sie achten?
Meines ganz subjektiven Erachtens auf die vorgenannten Leitmotive von insbesondere Vertrauen, Gradlinigkeit und Authentizität – und darauf, schnellstmöglich den gewährten Vertrauensvorschuss als berechtigt zu dokumentieren. Die Menschen einbinden und mitnehmen verschafft nicht nur mehr Power als ein Einzelkampf, sondern gewährt auch eine viel wahrscheinlichere Nachhaltigkeit der Veränderung. Last but not least steht das „Machen“ im Fokus. Darin unterscheidet sich der Interim Manager vom Berater, wobei es beide braucht – bestmöglich in der jeweils richtigen Phase.
Einzelkampf, Leistungsdruck, Ungewissheit – lohnt sich das am Ende des Tages?
Ich selbst zumindest kann das so rein objektiv und gar monetär nicht sauber bewerten. Wie schon erwähnt spielt Motivation eine oder gar die wesentliche Rolle und die für mich erkennbare Hilfe bzw. Wirkung verschafft mir mehr Erfüllung als ein Nine-to-five-Job – aber da hat jede/r völlig berechtigt eigene Präferenzen.