„Mehr Milchsorten im Kühlschrank als Frauen in Führungspositionen“

02.06.2020

Im Interview: Dr. Sarah Müller, kununu

Sarah Mueller

Könnten Sie für unsere Leser kurz Ihren beruflichen Hintergrund zusammenfassen?

Ich bin überzeugt, dass die Digitalisierung die Wünsche von Arbeitnehmern an Arbeitgeber verändert und sich Unternehmen auf diese neue Arbeitswelt einstellen müssen. Diese Einstellung vertrete ich tagtäglich bei kununu, der europaweit größten Arbeitgeber-Bewertungsplattform. Seit Juni 2018 gehöre ich zur Geschäftsführung von kununu, habe hier zuvor mehrere Jahre lang den Bereich Marketing & Content verantwortet. Vor meinem Start bei kununu habe ich als Projektmanagerin in der Unternehmensentwicklung von Burda Digital nach innovativen Wachstumsunternehmen zur Verstärkung des digitalen Geschäftsbereichs gesucht und verschiedene strategische Projekte verantwortet.

Was war für Sie die besondere Herausforderung die Geschäftsführung bei kununu zu übernehmen? Sie kannten das Unternehmen ja bereits seit drei Jahren.

Die Marke kununu wird immer größer und globaler. Was bei der Gründung im Jahr 2007 noch belächelt wurde, ist heute eine der relevantesten Websites für Jobsuchende. Wir haben mittlerweile insgesamt 120 Mitarbeiter an den Standorten Wien, Boston, Porto und Berlin. Gemeinsam arbeiten wir täglich daran, Menschen glücklich zu machen, indem sie über kununu.com die Arbeitgeber finden, die wirklich zu ihnen passen. Unternehmen wiederum können mit Transparenz, Wertschätzung und einer soziomoralischen Atmosphäre einen großen Teil zu einer sinnerfüllten Job-Kultur beitragen. Wir sehen immer noch erhebliches Wachstumspotenzial, daher ist die besondere Herausforderung für mich und mein Team, dieses Wachstum weiter vorzuantreiben.

kununu ist in Europa weitgehend konkurrenzlos. Wo liegen die Unterschiede zu anderen Bewertungsplattformen?

Mit bereits 3.3 Millionen  Erfahrungsberichten zu mehr als 876.000 Unternehmen ist kununu nicht nur die europaweit größte Arbeitgeber-Bewertungsplattform, sondern auch Vorreiter im deutschsprachigen Raum. Als Marktführer konzentrieren wir uns darauf, unseren Usern zu helfen, Entscheidungen zu treffen, die sie wirklich weiterbringen. Wir haben den Anspruch, die Plattform zu sein, welche die ausgewogenste und authentischste Perspektive auf Arbeitgeber liefert.

Ein Blick in die Glaskugel … Was sind für Sie die Megatrends der Arbeitswelt? Wie arbeiten wir in zehn bis 15 Jahren? Wird es kununu dann noch in der aktuellen Form geben?

Die Digitalisierung verändert den Arbeitsmarkt, Transparenz ist das Gebot der Stunde. Überspitzt formuliert könnte man sogar sagen, dass eine gewisse Machtverschiebung stattgefunden hat: Die Zeiten, in denen der Mitarbeiter tatsächlich nur eine Humanressource war, der im Prinzip Entscheidungen abarbeitet, die hinter verschlossenen Türen getroffen wurden, sind komplett vorbei. Denn heute hat jeder die Möglichkeit hinter Unternehmenskulissen zu schauen. So suchen sich Arbeitnehmer Arbeitgeber, die bestens zu ihren eigenen Werten passen. Diese Entwicklung pushen wir. Wir entwickeln die kununu GmbH mit all ihren Angeboten kontinuierlich weiter. Unser langfristiges Ziel ist es, dass keine Bewerbung mehr abgeschickt wird, ohne sich vorher auf kununu über das potenzielle Unternehmen zu informieren. Beispielsweise arbeiten die Kollegen gerade an einem neuen Feature, um User auf der Suche nach dem passenden Arbeitgeber noch besser zu unterstützen: Bald sind neben Arbeitgeberbewertungen auch Gehaltsinformationen auf den Firmenprofilen zu finden. Aber auch unser Spin Off kununu engage – eine Plattform, die Unternehmen wertvolle Erkenntnisse über die aktuelle Mitarbeiterzufriedenheit liefert – , ist kräftig am wachsen.

Wie können Unternehmen den digitalen Wandel im HR für sich nutzen? Welchen Beitrag leistet kununu dabei?

Mit dem Einzug der Digital Natives in die Unternehmen stellt sich gar nicht mehr die Frage, ob digitalisiert wird, sondern vielmehr, wie die verfügbaren Informationen optimal genutzt werden können. Arbeitgebern sollte sehr wohl bewusst sein, dass die eigene Karrierewebseite längst nicht mehr genügt, um sich als attraktiver Arbeitgeber hervorzutun und neue Talente anzulocken. Unternehmensprofile – ob bei Twitter, Facebook oder eben der Firmenauftritt auf kununu.com – gehören gepflegt, denn hier sammeln sich die Themen, die die eigenen Mitarbeiter beschäftigen. Ein zweites Beispiel: Wie wird denn mit Arbeitnehmern kommuniziert? Einmal jährlich im Mitarbeitergespräch und via ausgedrucktem Fragebogen? Das ist längst nicht mehr zeitgemäß. Denn richtig eingesetzt bergen digitale Tools im Feedbackprozess also ein unfassbar großes Potenzial für die Entwicklung einer einzigartigen, innovativen und responsiven Unternehmenskultur – deshalb haben wir kununu engage entwickelt.

Vielfach wird kununu als eine Art „Meckerbrett“ wahrgenommen. Wie so oft in sozialen Medien, äußern sich überwiegend die Unzufriedenen. Und Ex-Mitarbeiter sind zuweilen gnadenlos. Werden alle Bewertungen ungeprüft ins Netz gelassen?

Würden bei uns tatsächlich nur die Meckerer bewerten, wäre der Großteil der Bewertungen negativ. Doch so unterschiedlich die Erlebnisse am Arbeitsplatz von Mitarbeitern sind, so unterschiedlich sind auch die Gründe, den Arbeitgeber zu bewerten – das kann die Unzufriedenheit im Job genauso sein wie die Freude über ein neues Projekt oder ein Lob von den Kollegen. Diese Ausgewogenheit zeigt auch ein Blick in unsere Daten: 60 Prozent der Bewertungen sind positiv. Bevor eine Bewertung online geht, durchläuft sie technische Filter. Hier wird geprüft, ob sie gegen  Bewertungsrichtlinien verstößt – also beispielsweise Beleidigungen enthält. Wird die Bewertung vom technischen Filter aussortiert, wird auch hier die Bewertung manuell kontrolliert und die Verstöße gegen die Richtlinien überprüft. Das heißt, anders als es viele Personen annehmen, werden die Bewertungen nicht ausschließlich automatisch von Computern, sondern auch manuell von den Mitarbeitern kontrolliert – nämlich von unserem großartigen Community Support Team. Die Kollegen schreiben die User dann direkt an und erklären ihnen genau, warum sie gegen die Richtlinien verstoßen und was sie umformulieren können, damit ihre Bewertung trotzdem online gehen kann.

Wie gewährleistet kununu die Richtigkeit der Bewertungen – und damit auch die faire Behandlung der Unternehmen?

Sollte es Unklarheiten geben, ob ein Bewerter tatsächlich in entsprechender Firma gearbeitet hat, wird der User von uns um einen Tätigkeitsnachweis gebeten. Was viele nicht wissen: Der Arbeitgeber wird diesen nie zu Gesicht bekommen, der User bleibt zu einhundert Prozent anonym. Die Tätigkeitsnachweise in Form von Verträgen oder Arbeitszeugnissen werden erst einmal von uns intern geprüft. Stimmen die Angaben mit denen auf dem Nachweis überein, kann die Bewertung online gehen.

Bei sehr positiven Bewertungen kommt auf der anderen Seite leicht der Verdacht auf, dass diese von Unternehmen selbst verfasst wurden. Wie entlarven Sie Fake-Bewertungen?

Es gibt technische und manuelle Kontrollen die Fake-Bewertungen, also beispielsweise auffallend viele 5-Sterne-Bewertungen im selben Zeitraum, verhindern sollen. Wenn unsere User Fake-Bewertungen vermuten, können sie uns jederzeit kontaktieren und wir schauen uns den entsprechenden Fall einmal genau an und handeln entsprechend.

kununu ist TÜV-geprüft. Welche Kriterien werden bei einer solchen Prüfung zugrunde gelegt?

Wir leben das Thema Datenschutz. Die Anonymität unserer User sowie der Schutz ihrer persönlichen Daten haben oberste Priorität. Deshalb war es uns wichtig, genau diese Kriterien durch ein unabhängiges Prüfinstitut testen zu lassen. Die Zertifizierung umfasste ein umfangreiches Verfahren, welches beispielsweise die Prüfung rund um die Datenschutz-Grundverordnung beinhaltete, aber auch Themen wie die Datenschutzerklärung, Barrierefreiheit oder auch die Möglichkeit einer Kontolöschung genauestens unter die Lupe nahm. TÜV hat unseren Bewertungsprozess als sicher befunden, den kununu Usern wird dadurch der sichere Umgang mit ihren vertraulichen Daten bestätigt. Damit entspricht kununu in allen technischen Aspekten sowie auf der Mitarbeiter-Ebene den Grundsätzen der IT-Sicherheit.

kununu gehört seit 2013 zum XING-Universum. Gibt es da nicht auch mal Interessenkonflikte, wenn Unternehmen, die hohe Werbeetats bei XING haben, sich bei kununu ungerecht bewertet fühlen?

Jenes Universum hat sich übrigens einen neuen Namen verpasst – und zwar: New Work SE. Damit will die Betreiberfirma hinter dem Karrierenetzwerk XING ihren Fokus auf eine neue Arbeitswelt der Zukunft lenken. Die vielfältigen Produkte von XING sowie die der Tochterunternehmen zahlen bereits heute auf New Work ein. So ermöglicht kununu Arbeitnehmern zum Beispiel, ihre Arbeitgeber zu bewerten und schafft damit mehr Transparenz im Arbeitsmarkt. Für uns ist klar: Wir handeln nach dem „User first“-Prinzip. Kein Unternehmen kann um gute Bewertungen feilschen, das gibt es bei uns einfach nicht. Und das haben alle Beteiligten zu akzeptieren.

Gemessen an der quantitativen Entwicklung der Bewertungen auf Arbeitgeber-bewertungsportalen, steigt ihre Bedeutung erheblich. Und immer mehr Arbeitnehmer schauen sich das Zielunternehmen auf kununu an, bevor sie sich für ein Unternehmen entscheiden. Wie hat sich das Employer Branding vor diesem Hintergrund verändert?

Gerne kann ich an dieser Stelle die Bedeutung von Arbeitgeber-Bewertungsplattformen mit Zahlen belegen: Mehr als jeder dritte Internetnutzer (36 Prozent) hat sich schon einmal online Bewertungen von Arbeitgebern durchgelesen. Wie ein Arbeitgeber beurteilt wird, hat auch große Auswirkungen darauf, ob sich ein geeigneter Kandidat für einen Job überhaupt bewirbt. Mehr als acht von zehn der wechselwilligen Interessenten (84 Prozent) wurde durch die Berichte und Noten in seiner Entscheidung schon beeinflusst. Jeder zweite Befragte (46 Prozent) wurde dabei in seiner Entscheidung für ein Unternehmen bestärkt. 54 Prozent haben sich danach allerdings gegen das Unternehmen als Arbeitgeber entschieden. Viele Unternehmen haben die Zugkraft von kununu längst erkannt und setzen das Portal kräftig für ihr Employer Branding ein. Ein gut gepflegtes kununu Profil ist von großer Bedeutung für das Employer Branding eines Unternehmens. Denn abgesehen von dem Firmen-Image, das ein digitales Profil wesentlich mitkreiert, können Arbeitgeber von dem Feedback profitieren, das sie in solchen Foren erhalten.

Kommen Unternehmen auch direkt auf Sie zu und bitten um Ratschläge, wie man an den kritisierten Aspekten arbeiten und bessere Bewertungen erreichen kann?

Das passiert durchaus. Uns ist es auch wichtig, auf Speakings und in Workshops vor Personalern und Unternehmenssprechern zur Relevanz von Arbeitgeber-Bewertungsportalen zu sprechen und sich ihren Fragen zu stellen. Mit unserem kununu Toolkit (toolkit.kununu.com) bieten wir übrigens eine kostenfreie „Werkzeugkiste“, an die Unternehmen beim Employer Branding hilft. Statt Schraubenschlüssel, Hammer und Nägel gibt es hier viele Tools, die dabei helfen, mehr Bewertungen auf kununu zu sammeln.

Was sind Ihre Erfahrungen als, noch dazu junge, Frau in Führungspositionen? Was sehen Sie als Ihre persönlichen Erfolgsfaktoren?

Ich selbst habe im Laufe meiner Karriere viel Zuspruch erhalten und kann auf positive Erfahrungen zurückblicken. Einige meiner Freundinnen haben Start-ups gegründet, wir haben uns alle gegenseitig unterstützt, das ist sehr wichtig. Nach meinen persönlichen Erfolgsfaktoren gefragt: Fleiß und mit den eigenen Erfolgen nicht hinter dem Berg halten!

Portale wie kununu gäbe es ohne Digitalisierung nicht. Ist der digitale Wandel eine Entwicklung, von der speziell Frauen profitieren können? Ist die Online-Branche in Puncto Gleichberechtigung weiter als andere Branchen?

Wie es um die Gleichberechtigung in der Arbeitswelt steht, zeigt ein Blick auf kununu Bewertungen. Im Durchschnitt aller Bewertungen auf kununu.com erzielt Gleichberechtigung 3,84 von 5 Punkten und liegt damit auf Platz 4 unserer 13 Bewertungskategorien. Gar nicht mal so schlecht, mag man meinen. Doch zwischen Lob und Aussagen wie „Ob Mann oder Frau, jung oder alt, Werkstudent oder Teilzeitkraft, hier wird Gleichberechtigung groß geschrieben“ gibt es immer wieder Bewertungen, die mich zutiefst verärgern: „Mehr Milchsorten im Kühlschrank als Frauen in Führungspositionen. Ich habe Dinge gesehen und gehört die 2018 absolute No Gos sind“ ist so ein Fall. Die EDV/IT-Branche schneidet dann im Branchenvergleich besonders gut ab. Gleiches gilt für Beratung/Consulting sowie das Personalwesen. Generell lässt sich feststellen, dass viele Branchen mit hohem Frauenanteil besonders von der Digitalisierung betroffen sind. Studien belegen, dass Frauen die Chancen der Digitalisierung für ihren Aufstieg und die Verringerung des Karriereabstands zu männlichen Kollegen nutzen.

Haben Sie einen Rat für junge Frauen, die ins Berufsleben starten?

Mein Rat an junge Frauen: Glaubt an euch. Sucht euch Mentoren, die Tipps zur Karriereplanung teilen und euch den Einstieg in berufliche Netzwerke erleichtern. Und macht dann unbedingt sichtbar, was ihr erreicht habt – kleine sowie große Erfolge! Passend zum Thema haben drei Kolleginnen auf unserem Corporate Blog news.kununu.com eine Interviewserie etabliert, in der sie der Frage auf den Grund gehen, wie junge Gründerinnen und Chefinnen die Arbeitswelt verändern und die Zukunft gestalten. Edition F, Outfittery, Fränzi Kühne von TLGG: Die Porträtierten sind wirklich inspirierend – nachlesen lohnt sich!

Sie haben sich schon in Ihrem BWL-Studium mit Konsumentenverhalten beschäftigt und wissen wahrscheinlich, wie Menschen ticken. Haben Sie durch kununu noch etwas Neues über Menschen lernen können?

Auf jeden Fall! Ich finde es faszinierend, dass die Jobentscheidung – die zweitwichtigste Entscheidung im Leben nach der Partnerwahl – immer mehr dem gleicht, wie wir online Produkte kaufen: 90 Prozent aller Jobsuchen starten auf Google und jeder zweite Jobinteressent zieht mittlerweile Arbeitgeberbewertungen zurate.

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