Was leistet Künstliche Intelligenz in Personalberatung & Recruiting?

05.07.2022

INHALT

  1. Was bedeutet Künstliche Intelligenz eigentlich?
  2. Wie kann KI die Prozesse unterstützen?
  3. Der Einsatz von KI in Stellenanzeigen
  4. Was ist ein Bewerbungsroboter?
  5. Welche Gefahren birgt der Einsatz von KI?
  6. Tools und Techniken, mit denen Personalberatungen als verlängerte Werkbank für Unternehmen erfolgreich wirken können
  7. Macht KI die Personalberatung überflüssig?
  8. Bessere Dienstleistungen für Kunden und Bewerber:innen
  9. Die Zukunft von KI in der Personalberatung
  10. Empfehlungen
  11. Fazit
Personalberater Tilmann Ulbricht

Tilmann Ulbricht

1. Was bedeutet Künstliche Intelligenz eigentlich?

Auch wenn viele unterschiedliche Definitionen von Künstlicher Intelligenz in der Literatur kursieren, gilt KI einvernehmlich als Überbegriff für alle Algorithmen, die menschliches Denken nachahmen. Künstliche und menschliche Intelligenz sind jedoch nicht vergleichbar. KI bezeichnet lernende Algorithmen, die bestehende Datensätze analysieren, Muster und Strukturen erkennen, diese evaluieren und sich in mehreren Durchläufen selbständig verbessern können.

 

KI-Systeme sind insbesondere für Branchen und Unternehmensbereiche interessant, in denen große Datenmengen aufzubereiten und zu analysieren sind – wie beispielsweise im Recruiting. Das Ziel dabei: Die Informationsverarbeitung und Entscheidungsfindung vor, während und nach der Bewerbung zu optimieren sowie die Kommunikation zwischen Headhuntern, Recruiting-Verantwortlichen, Fachabteilungen und Kandidat:innen zu unterstützen. Für den Einsatz von Verfahren der Künstlichen Intelligenz eröffnen sich in diesem Bereich vielfältige Anwendungsmöglichkeiten entlang des gesamten Recruiting-Prozesses bzw. der sogenannten „Candidate Journey“.

3. Der Einsatz von KI in Stellenanzeigen

Auch die gezielte Platzierung von Stellenanzeigen in geeigneten Kanälen in Kombination mit den effektivsten Keywords ist Aufgabe von KI. Beim Targeted Marketing and Sourcing helfen prädiktive Technologien, offene Stellen optimal auszuschreiben. Durch die Möglichkeit der gezielten Ansprache der richtigen Zielgruppe können Recruiting-Budgets effektiver eingesetzt werden. Die Ausspielung von Stellenanzeigen an vorbestimmten Gruppen von Kandidat:innen birgt allerdings gleichzeitig die Gefahr von Diskriminierung und Verzerrung, da smarte Marketingsysteme das Budget optimieren, indem andere Gruppen von vornherein ausgeschlossen werden.

2. Wie kann KI die Prozesse unterstützen?

Personalberatungen, große mittelständische Unternehmen und Konzerne bekommen häufig eine große Zahl an Bewerbungen, die bearbeitet werden wollen. Mithilfe von KI müssen deutlich weniger Recruiting-Spezialist:innen abgestellt werden, um diese Bewerbungen vorauszuwählen. Stattdessen sucht eine Software Kandidat:innen nach vorgegebenen Kriterien aus und die Personalverantwortlichen extrahieren aus diesem Pool dann die Besten. So unterstützt KI effektiv die Kategorisierung und Klassifizierung.

Ein weiteres KI-Einsatzgebiet ist das CV-Parsing – also das automatische Auslesen von Bewerbungsunterlagen. Hier erkennt der CV-Parser mithilfe einer semantischen Analyse einzelne Textbausteine in den Lebensläufen und überträgt diese in die Datenfelder eines Bewerbermanagement-Systems. Durch die Übernahme von zeitaufwändigen, repetitiven Prozessen durch KI-Systeme, können sich Unternehmen intensiver mit jenen Kandidat:innen beschäftigen, die tatsächlich für eine Vakanz infrage kommen und gewährleisten eine höhere Qualität und Passgenauigkeit.

4. Was ist ein Bewerbungsroboter?

 

Hinter einem Bewerbungsroboter steckt eine Künstliche Intelligenz, die Bewerbungen nach bestimmten Merkmalen und Schlüsselworten untersucht, die für eine ausgeschriebene Stelle relevant sind. Anschließend kann sie für das Recruiting eine Vorauswahl geeigneter Kandidat:innen zusammenstellen. Das System funktioniert nur dann, wenn es mit ausreichend Daten gefüttert und trainiert wird. Zum Beispiel können die Unternehmen die Künstliche Intelligenz darauf trainieren, alle eingehenden Bewerbungen mit den erfolgreichen Neueinstellungen der letzten zehn Jahre zu vergleichen und Zusammenhänge herzustellen.

5. Welche Gefahren birgt der Einsatz von KI?

Bei aller Euphorie und Arbeitserleichterung ist etwa die Vorauswahl von Bewerbungen oder die Auswertung von Videos allein nur durch Künstliche Intelligenz sehr kritisch zu sehen. Die möglichen Verzerrungen durch potenziell fehlinterpretierte Trainingsdaten und damit die Gefahr der Diskriminierung von Kandidat:innen sind derzeit noch sehr groß. Zwar achten die Algorithmen grundsätzlich nicht auf Aussehen, Herkunft oder Geschlecht, dennoch ist auch hier das System nur so gut wie die zugrundeliegenden Daten. So kann beispielsweise die Tatsache, dass in der Vergangenheit oft mehr Männer als Frauen eingestellt wurden, zu Fehlern und diskriminierenden Algorithmen führen. Daher muss in Zukunft vermehrt auf die Entwicklung sorgfältig durchdachter und transparenter KI-Lösungen gesetzt werden. Trustworthy AI für ethische Datenverarbeitung bekommt in diesem Zusammenhang eine immer höhere Relevanz. Auch beim Einsatz von Bewerbungsrobotern ist einer möglichen Voreingenommenheit bei der Personalauswahl entgegenzuwirken. Die Kontrolle einer gedanklichen Vorsortierung und die Unvoreingenommenheit von Algorithmen in der Entwicklung von Künstlicher Intelligenz ist eminent wichtig. Hier bewegen sich Unternehmen, die bereits KI einsetzen, auf dünnem Eis.

6. Tools und Techniken, mit denen Personalberatungen als verlängerte Werkbank für Unternehmen erfolgreich wirken können

KI wird heute in der Regel dafür eingesetzt, das CV-Parsing im Recruiting zu unterstützen – zur Automatisierung eines Prozesses, der sonst viel Zeit in Anspruch nehmen würde. Entscheider und Entscheiderinnen sind nun in der Lage, schnell eine engere Auswahlliste von geeigneten Bewerbern und Bewerberinnen zu erstellen, indem sie intelligente Software nach Personen mit den erforderlichen Kenntnissen und Fähigkeiten suchen lassen. Früher mussten alle Berater:innen ihre Datenbank manuell nach potenziellen geeigneten Persönlichkeiten durchsuchen und jede eingegangene Bewerbung einzeln durchsehen. Das ist ein unglaublich zeitaufwändiger Prozess – und dennoch immer noch Alltag vieler Beratungen.

Viele der größeren Beratungen automatisieren mittlerweile den CV-Parsing-Prozess beispielsweise durch den Einsatz von digitalen Zwillingen, sodass dies in absehbarer Zeit als Standardverfahren gelten wird.

7. Macht KI die Personalberatung überflüssig?

Eine häufig gestellte Frage in der Personalberatungsbranche lautet, ob KI die Berater:innen überflüssig machen wird. Personalberatung ist und bleibt ein „People’s Business“ – eine elementare persönliche Angelegenheit zwischen Unternehmen, Entscheidern, Kandidat:innen, die nicht durch KI zu ersetzen ist. Intelligente Rekrutierungssoftware minimiert die Zeit, bis ein geeigneter Bewerber oder eine Bewerberin gefunden ist – die Personalberatung gewährleistet die Qualität.

Zwar ist KI in der Lage, eine Liste potenzieller Bewerber:innen für jeden Bereich zu erstellen, die Menschen hinter den Fähigkeiten wird ein künstliches System jedoch nie adäquat verstehen können, egal wie hoch entwickelt es sein mag. Beim Headhunting geht es darum, die fachlich passenden Kandidat:innen für ein Unternehmen zu finden und dafür deren Fähigkeiten mit den Aufgaben abzugleichen – aber noch wichtiger ist es, die menschliche Passung sicherzustellen.

Möglicherweise verändern die Fortschritte und Entwicklung der KI die Aufgaben des Headunters im Laufe der Zeit, ihre Kernaufgaben bleiben jedoch auch in Zukunft bestehen: Headhunter vermitteln Bewerber:innen ihre Rolle, sie bereiten sie auf Vorstellungsgespräche vor und bringen Kunden und Kandidat:innen auch auf Grundlage von weichen, weniger greifbaren Faktoren („Soft Facts“) zusammen. Selbst in einer perfekten Welt, in der alle Lebensläufe demselben Format entsprechen und die relevanten Daten von intelligenter Software vollständig analysiert werden können, sind menschliche Skills für die Erfassung der Wertevorstellungen und den Match des Cultural Fit noch immer unerlässlich.

8. Bessere Dienstleistungen für Kunden und Bewerber:innen

Personalberatungsgesellschaften, die Künstliche Intelligenz geschickt mit kompetenten, spezialisierten Beratern und Beraterinnen kombinieren, verleihen ihrem Executive Search eine neue Schlagkraft! Sie sind nicht nur deutlich erfolgreicher bei der Vermittlung hoch qualifizierter und passgenauer Bewerber:innen, sondern auch wesentlich schneller als diejenigen, die einen Großteil der Arbeiten noch immer manuell ausführen.

In einer Zeit, in der die Nachfrage in vielen Branchen das Angebot übersteigt, müssen die Personalberatungen den effizientesten Weg finden, um die besten Kandidat:innen zu gewinnen und einen starken Talentpool aufzubauen, auf den die Kunden zugreifen können. Hier leistet KI wertvolle Unterstützung. Aber nicht nur Kunden profitieren vom Einsatz der KI-Software; Personalberatungen können damit auch sicherstellen, Bewerber:innen nur die für sie wirklich relevanten Stellen vorzuschlagen. Eine schnelle Online-Recherche zeigt nicht nur, wie häufig Bewerber:innen E-Mails unpassende Job-Angebote erhalten, sondern auch, wie frustrierend sie das finden. KI-Software hilft den Personalberatungen dabei, genau das zu vermeiden.

9. Die Zukunft von KI in der Personalberatung

In der gesamten Personalberatungsbranche wird derzeit eine Reihe von Technologien eingeführt, die die Prozesse der Personalberatung verändert. Folgende Möglichkeiten zeigen, wie die KI bei der Personalberatung die Personalisierung verstärkt:

  • Prozessverbesserung bei der Lebenslauf-Analyse
  • Optimierung von Stellenanzeigen
  • Rekrutierung mit „Matchmaking“ (Vermittlung, Übereinkunft) durch spezielle Apps

10. Empfehlungen

Aufgrund des vorherrschenden Kandidatenmarktes ist und bleibt der Einsatz qualifizierter Personalberater mit ihren Netzwerken, Prozessen und Methoden unverzichtbar, um über ein professionelles Headhunting aus wenigen potenziellen Kandidaten die Richtigen zu finden. Wer aber das Glück hat, aufgrund von Marke, Standort, Position etc. über eine große Anzahl an Bewerbungen zu verfügen, dem kann eine KI-Engine im Recruiting wertvolle Unterstützung leisten. Wichtig dabei ist, dass die Grenzen der Methode beachtet werden.
 
Daher unsere Empfehlungen in der Handhabung einer KI-Engine für die Personalarbeit:
  • Erstellen Sie Ihre Soll-Profile mithilfe der KI-Engine
  • Kandidat:innen sollten auf den Einsatz einer KI hingewiesen und bei der Aufbereitung von Unterlagen mit Tipps ausgestattet werden, damit die Selektion von der KI qualifiziert vorgenommen werden kann
  • Führen Sie keine voll automatisierte Personalauswahl aufgrund von Profil-Ergebnissen durch, sondern nutzen die KI ausschließlich zur Vorselektion und ziehen Sie regelmäßig Stichproben aus den automatisiert vorgenommenen Selektionen
  • Vergleichen Sie Soll-Profile mit Ist-Profilen (Benchmark) nur aus ein und derselben KI-Engine
  • Das Ergebnis, der Personality Fit, gibt nur generellere Hinweise und ist nicht zur Priorisierung zu verwenden
  • Priorisieren Sie aufgrund von positionsrelevanten Attributen
  • Die Profile von Mitarbeitenden sollen positions- und rollenbezogen automatisch und kontinuierlich in die Datenbank der Sollprofile aggregiert und anonymisiert einfließen. So lernt die KI und lässt die Erkenntnisse in die nächsten Selektionen einfließen
  • Valide Sollprofile brauchen mindestens 10 eindeutige Merkmale
  • Aus einem Eigenschaftsprofil lässt sich nicht der berufliche Erfolg einer Person ablesen, denn ob sie im Kontext erfolgreich leistet, ist nicht messbar und vorhersagbar
  • Seien Sie sich bewusst, dass Sie mit dem Einsatz von KI möglicherweise Kandidat:innen im Prozess verlieren, die für Ihr Unternehmen aus anderen Gründen interessant sein könnten
  • Prüfen Sie regelmäßig und systematisch, ob Sie mit Ihren KI-Kriterien nicht Personengruppen diskriminieren
  • Mithilfe von KI-Ergebnissen können Personalberater:innen eine fundierte und begründete Kandidat:innenauswahl treffen

11. Fazit

Künstliche Intelligenz wird sich im Recruiting etablieren und den Prozess wirksam ergänzen

KI kann im Recruiting Hilfe leisten, wenn die Grenzen der Methode beachtet werden. Künstliche Intelligenz ist in der Lage, den Recruiting-Prozess insbesondere bei einer größeren Anzahl an Bewerbungen zu vereinfachen und zu verkürzen. Adäquat trainierte KI-Algorithmus können in Datenbanken und Netzwerken – national wie international – nach Persönlichkeiten mit gewünschten Qualifikationen suchen und sehr schnell Ergebnisse liefern. Davon profitieren nicht nur Unternehmen, auch Kandidat:innen erhalten durch den Abgleich von Profilen mit Stellenanforderungen ein schnelles qualifiziertes Feedback.

Nutzen liegt in der Vorselektion

Der Nutzen von KI erstreckt sich unserer Erfahrung nach jedoch ausschließlich auf die Phase der Vorselektion. Eine vollautomatisierte Personalauswahl auf der Basis von Profilergebnissen führt nicht zur erfolgreichen Besetzung, da sich die berufliche Schlagkraft einer Person nicht aus ihrem Eigenschaftsprofil ablesen lässt. Ob ein Kandidat oder eine Kandidatin im Kontext erfolgreich leistet, ist weder messbar noch vorhersagbar.

Risiken und Grenzen von Künstlicher Intelligenz

Neben der Diskriminierung durch den eventuellen Ausschluss bestimmter Kandidat:innengruppen im Zuge der Kriterien-Konsequenz von Algorithmen, besteht für Unternehmen auch die Gefahr, dass ihnen attraktive Persönlichkeiten verloren gehen können, wie etwa Quereinsteiger mit interessanten Kompetenzen oder Persönlichkeiten mit kreativen Fähigkeiten, die an andere Stellen hätten glänzen können.

Zwischenmenschliche Aspekte zählen in der Candidate Experience

Die Akzeptanz von künstlicher Intelligenz auf Unternehmens- und Kandidat:innen-Seite ist mittlerweile zwar recht hoch, nimmt jedoch mit zunehmender Nähe zum Vertragsabschluss sukzessive ab. Gerade die viel umworbene Gruppe der Millennials gilt zwar als aufgeschlossen gegenüber der digitalen Kontaktaufnahme, möchte aber gleichermaßen persönlich und intensiv über den gesamten Bewerbungsprozess betreut werden. Millennials sind sich ihres Marktwertes bewusst, haben dezidierte Vorstellungen und Erwartungen – und meist ebenso viele berufliche Optionen. Hier bedarf es der persönlichen Ansprache und Überzeugung durch eine erfahrene Personalberatung.

Ganzheitliche – menschliche – Betrachtung ist unverzichtbar

Der Auswahl- und Besetzungsprozess ist ein komplexer Prozess, bei dem alle Aspekte einer Vakanz und alle Facetten eines Kandidaten bzw. einer Kandidatin beleuchtet werden müssen. Aus diesem Grund ist es sinnvoll, auf die Expertise einer Personalberatung zurückzugreifen sowie die Bewertungssicherheit und die Überzeugungskraft versierter Expert:innen zu nutzen, anstatt auf die Ergebnisse einer künstlichen Intelligenz zu vertrauen, die die vielleicht entscheidenden Parameter nicht berücksichtigt oder eben nicht in ihrer Gesamtheit interpretieren kann.

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