GREEN TRANSITION

Dänemark - das Emirat der Erneuerbaren Energien?

06.12.2022​

Im Interview: Mads-ole Astrupgaard

Mads-Ole Astrupgaard

Mads-Ole Astrupgaard ist seit rund 20 Jahren in der Windindustrie aktiv. Durch seine Tätigkeit als Vorstandsvorsitzender des dänischen Branchenverbandes Wind Denmark/Danish Wind Industry Association hat er entscheidend dazu beigetragen, die Windindustrie zu einem starken und zentralen Akteur im aktuellen und zukünftigen Energiesystem in Dänemark und Europa, aber auch weltweit, zu machen.

Er ist Gründervater und Vorstandsmitglied des neuen Verbandes Green Power Denmark, der Unternehmen der gesamten Wertschöpfungskette grüner Energie vertritt, und engagiert sich weiter für die Elektrifizierung und das Gelingen der Energiewende. 

Dänemark nimmt EU-weit den Spitzenplatz in Bezug auf die Stromerzeugung mit Erneuerbaren Energien ein. Im Jahr 2021 lag der Anteil Erneuerbarer Energien an der gesamten dänischen Nettostromerzeugung bei rund 68 Prozent. Das Land hat sich zum Ziel gesetzt, die CO₂-Emissionen bis 2030 um 70 Prozent (im Vergleich zu 1990) zu senken und bis 2050 zu 100 Prozent klimaneutral zu sein. Die Schaffung der strukturellen Rahmenbedingungen ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg, dieses Ziel zu erreichen.

Mads-Ole, was waren die Gründe für die Entstehung von Green Power Denmark?

In Dänemark gab es im Energieversorgungssektor eine Reihe von Unternehmensverbänden, die sich in ihrer Größe, ihrem Energieerzeugungsfokus und auch ihrer Vorstellung, wie die Zukunft der Energieversorgung in Dänemark auszusehen hat, unterschieden haben. Diese Zersplitterung und der interne Kampf um den richtigen künftigen Weg schwächte die Position gegenüber der Regierung und sorgte für Frustration auch auf Seiten der Politik, die mit unterschiedlichen Interessen konfrontiert wurde, anstatt qualifizierten Input für die Energiewende aus einer Hand zu erhalten. In so einem Fall hören Politiker dann auf die größten Organisationen. Dies waren Wind Denmark und Dansk Energi, ein Verband mit Schwerpunkt auf Versorgungsunternehmen und Infrastruktur, der nicht nur die Interessen grüner Unternehmen vertrat, sondern auch jene von Öl- und Gasunternehmen.

Die Vertreter von Wind Denmark, Dansk Energi und Dansk Solkraft haben sich im letzten Jahr zusammengesetzt, um auszuloten, ob die Organisationen zu einem schlagkräftigen Verband zusammengeschlossen werden können. Die Gespräche gestalteten sich extrem schwierig, dennoch bestand bei allen Beteiligten Einigkeit darüber, dass die Zukunft nur in Erneuerbaren Energien liegen kann – dem pflichteten auch Unternehmen der Öl- und Gasbranche bei, die in ihrer Form nicht mehr Teil dieser Zukunft sein würden. Letztendlich ging es darum, wie und wie schnell wir die Energiewende realisieren können. Im März 2022 – rund neun Monate später – hatten wir eine Einigung erzielt und konnten eine komplette Strategie für die Stromversorgung der Zukunft in Dänemark vorlegen, die eine Übergangszeit mit einer Kombination aus erneuerbaren und fossilen Energiequellen vorsieht, denn auch in Dänemark sind wir zum jetzigen Zeitpunkt nicht in der Lage, auf Öl und Gas zu verzichten. Der Kriegsausbruch in der Ukraine im Februar – nur einen Monat bevor Green Power Denmark an den Start gegangen ist – hat auch dem letzten Zweifler klargemacht, dass wir unabhängig von russischem Gas und fossilen Energien werden müssen. So tragisch es ist, der Ukrainekrieg hat unsere Organisation erheblich gestärkt.

Wie viele Organisationen und Unternehmen haben Sie bei dem Merger unter ein Dach gebracht?

Green Power Denmark ist der Zusammenschluss von Dansk Energi, Wind Denmark, dem ich vorstand, und Dansk Solkraft. Ich hoffe, auch Vertreter des Wasserstoffsektors zu gewinnen, sodass wir schließlich 5 bis 6 Verbände integrieren werden, die die gesamte Bandbreite der Erneuerbaren Energien widerspiegeln. Green Power Denmark hat aktuell bereits mehr als 1.500 Mitglieder der kompletten Wertschöpfungskette der Windenergie, Entwickler und Betreiber von Anlagen, Stromversorger, Netzbetreiber, Energiehandelsunternehmen und Unternehmen, die an der Umwandlung und Speicherung von Ökostrom arbeiten. In dieser breiten Aufstellung haben wir heute eine extrem starke Position gegenüber der dänischen Regierung, wenn es darum geht, wie wir neue Versorgungsprozesse implementieren. Es ist auch nicht hinderlich, dass der Geschäftsführer von Green Power Denmark der ehemalige Finanzminister Dänemarks ist …

Was waren die größten Schwierigkeiten, die Sie überwinden mussten und was sind Ihre gemeinsamen Ziele?

Eine immense Herausforderung waren die Größenunterschiede der Organisationen und ihre verhältnismäßige Repräsentanz in der neuen Organisation. Einigkeit bestand allerdings von Anfang an darin, dass die Vertreter von Wind- und Sonnenenergie in der ersten Reihe stehen sollten, obwohl die Unternehmen dieser Sparten am wenigsten Geld erwirtschaften. Unser gemeinsames Ziel ist die Steigerung des Ökostromangebots in Dänemark von aktuell 35 Terawattstunden auf bis 105 Terawattstunden bis zu 2030 – also eine Verdreifachung innerhalb von acht Jahren. Da Windenergie- und Solaranlagen Strom tageszeit- und witterungsbedingt nicht gleichmäßig ins Netz einspeisen können, ist die Weiterentwicklung von Stromspeichern für eine lückenlose Versorgung und ein Gelingen der Energiewende unverzichtbar. Mithilfe von Power-to-X-Technologien kann Ökostrom in chemische Energieträger zur Stromspeicherung oder in strombasierte Kraft- und Treibstoffe zur Mobilität umgewandelt werden. Neben der Deckung der dänischen Bedarfe, verfolgen wir auch das Ziel, Energieüberschüsse zu exportieren.

Von Ihnen stammt das Zitat, Dänemark solle das „Emirat der grünen Energie“ werden …

Ja, das habe ich gesagt – mehrfach auch zu unserem Kronprinzen. Ich hatte häufiger das Privileg, ihn sprechen zu dürfen. Bisher lächelte er immer über meine Worte, aber vor Kurzen erwiderte er: „Ich denke, Sie haben nicht ganz Unrecht.“ Meinen norwegischen Kollegen habe ich auch schon prophezeit, dass Dänemark Norwegens Position als größter europäischer Energie-Exporteur übernehmen wird. Norwegens Ölexporte werden in der Zukunft zurückgehen, parallel dazu steigert Dänemark die Produktion grüner Energie, sodass wir hoffentlich ab 2030 die stärkste Kraft in Europa im Bereich von grüner Energie und E-Fuels sein werden.

 

Dann wird Energie – neben Lego – Dänemarks größter Exportschlager?

Die Wertschöpfungskette für Windturbinen belegt bereits jetzt Platz 2 der dänischen Ausfuhren. Ich schätze, dass Energieexporte bis ca. 2040 unser wichtigster Faktor im Außenhandel sein werden. Und es wird stark im Bereich Power-to-X-Technologien investiert. Die Technologien sind vielfältig und unterscheiden sich in Abhängigkeit von der entstehenden Energieform sowie im Verwendungszweck, sodass in diesem Bereich ein großer, komplett neuer Industriezweig entsteht. 

 

Wie sehen die politischen Einflussmöglichkeiten von Green Power Denmark konkret aus?

Der Maßnahmenplan für die Umstellung des gesamten Energieversorgungssystems auf 100 Prozent Erneuerbare Energien, den Green Power Denmark erarbeitet und der dänischen Regierung vorgelegt hat, umfasste 46 Aktionspunkte – fast alle wurden angenommen. Obwohl wir nur rund 130 Mitarbeiter beschäftigen, ist Green Power Denmark die wahrscheinlich stärkste Lobby-Organisation Dänemarks. Rückblickend können wir festhalten, es ist weit besser gelaufen, als wir angenommen haben. Unsere Stimme ist extrem laut.

 

Laut genug, um auch in Brüssel gehört zu werden? Die Energiewende kann schwerlich von Dänemark allein gestemmt werden …

Wir werden sehr deutlich in Brüssel gehört. Dänemark ist das erste Land, das eine gesamte Wertschöpfungskette im Bereich Erneuerbare Energien installiert hat. Viele europäische Länder laden uns ein, damit wir von unseren Erfahrungen und Maßnahmen berichten. Das Energieproblem, mit dem wir aktuell zu kämpfen haben, ist schließlich ein rein europäisches Thema, kein amerikanisches oder asiatisches. Gemessen am Bruttoinlandsprodukt steht Europa für ca. 15 Prozent der Weltwirtschaft, die übrigen 85 Prozent werden von der Energiekrise kaum beeinflusst.

Wie sehen Sie die Energiesituation in Europa aktuell?

Wir erleben in Europa im Moment eine schwierige Gemengelage: Unter dem Eindruck der Geschehnisse in Fukushima hat Deutschland die Abkehr von der Kernenergie beschlossen und ist im Begriff, die letzten Atommeiler abzuschalten; Frankreich dagegen hat extrem viele Kernkraftwerke, die aufgrund mangelnder Investitionen jedoch völlig veraltet sind, was die Energieproduktion des Landes auf 60 Prozent seiner eigentlichen Kapazität drosselt. Frankreich muss und will massiv in seine Anlagen investieren, aber es wird Jahre dauern, um wieder ein Niveau zu erreichen, das die eigene Versorgung und möglicherweise einiger anderer Länder sicherstellt. Nachdem die EU-Kommission die Atomenergie als „umweltfreundlich“ abgesegnet hat und Uran wieder salonfähig geworden ist, bin ich davon überzeugt, dass Kernkraftwerke noch für eine lange Zeit am Netz bleiben werden. Aber aktuell produzieren sie zu wenig. Dazu kommen die niedrigen Pegelstände deutscher Flüsse, die die Binnenschifffahrt und den Transport von Kohle erschweren. Norwegen und Schweden verzeichneten im letzten Jahr ebenfalls zu wenig Regen und Schnee, was wiederum zulasten der Wasserkraftproduktion geht. Und als ob das noch nicht genug wäre, gibt es noch politische Aspekte, die die gegenseitige Hilfe in Europa erschweren. In Kombination mit dem ausbleibenden russischen Gas ergibt dies in Bezug auf die europäische Energieversorgung so etwas wie den „perfekten Sturm“.

In puncto Energieversorgung haben wir in Europa den perfekten Sturm.

Liegt in der Bündelung der Kräfte das Geheimnis des Erfolges? Sollten wir ein „Green Power Europa“ auf die Beine stellen – mit Dänemark als Berater?

Es werden sicher weitere vergleichbare Organisationen in Europa entstehen. Dänemarks Vorreiterposition resultiert zum einen aus den natürlichen Windressourcen, zum anderen aus den bereits vorhandenen technologischen Voraussetzungen. Andere Länder haben diese Gegebenheiten nicht. In Dänemark sind allein 35.000 Menschen in der Windindustrie beschäftigt. Das ist verdammt viel für ein kleines Land wie Dänemark und verdeutlicht die Wichtigkeit dieser Branche. Das Interesse, diese Technologien, die Produktion und neue Entwicklungen im Land zu halten, war immer groß – bei Politikern und Investoren gleichermaßen. Investoren blicken auf die Industrie und die Energieeffizienz als Gesamtheit. Wenn die Strukturen stimmen, dann fließt das Geld auch in Richtung Erneuerbare Energien und die Energiewende. Und das kann ebenso in anderen Ländern umgesetzt werden.

Was ist Ihr Rat als Außenstehender an Deutschland?

Mit Ausnahme der Investitionen in Windkraftanlagen, bin ich nicht genau informiert, welche Aktivitäten die deutsche Regierung derzeit in Bezug auf die grüne Transformation plant. Es ist aber allgemein bekannt, dass Deutschland erhebliche Defizite im Stromnetz hat, z. B. keine belastbaren elektrischen Leitungen von Nord nach Süd. Der Wind bläst nun aber im Norden stärker. Wenn ich durch Norddeutschland fahre, sehe ich die Hälfte der Windräder stillstehen, weil anderenfalls das Stromnetz von den erzeugten Energiemengen überlastet würde. Das ist in meinen Augen verrückt. Dieses Problem besteht seit 10 bis 15 Jahren. Warum bekommt Deutschland das nicht in den Griff? Ein Grund mag in der Uneinigkeit der Bundesländer liegen, die ihre Leitungen nicht koordiniert bekommen, und auch in der Frage, wer neue Leitungen bezahlt.

Sehen Sie einen Ausweg aus der aktuellen Energiekrise? Wie wird die Zukunft aussehen?

Ich erwarte, dass Deutschland – wenn möglich – die Laufzeit der Atomkraftwerke um einige Jahre verlängern wird. Meiner Ansicht nach ist dies notwendig. Frankreich wird weiter in seine nuklearen Anlagen investieren und Europa für die nächsten Jahre fossile Energien importieren müssen. Die Umstellung auf grüne Energie geht nicht so schnell wie erhofft, aber es wird stark in Windkraft und Solarenergie investiert. Erneuerbare Energien sind durch den Ukraine-Krieg in den Fokus der Betrachtung gerückt.

In Deutschland heißt es mitunter, Windräder sind toll, aber bitte nicht zu nah an meinem Garten. Kennen sie dieses Phänomen auch in Dänemark?

Ja, wir kennen das Problem der „visuellen Verschmutzung“ und die Diskussionen um die Entfernungen einer Offshore- oder Onshore-Turbine auch. Mittlerweile machen Energieunternehmen ganz erfolgreich Fernsehwerbung für Windturbinen und Solaranlagen, um für Verständnis zu werben und die Alternativlosigkeit zu kommunizieren. Wir haben in den letzten 25 Jahren alle Hochspannungsleitungen in den Boden verlegt, um sie aus dem Landschaftsbild zu entfernen. Im Boden sind sie jedoch bei weitem nicht so leistungsfähig. Und wir müssen Strom über weite Strecken transportieren, was bedeutet, dass wir wieder das Stromnetz mit Hochspannungsleitungen in der Luft ausbauen müssen. Für die grüne Transformation müssen wir alle Kompromisse machen. Wir können nicht schwimmen, ohne nass zu werden.

Mads-Ole, vielen Dank für das Gespräch.

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