Martin-Puppatz

Veränderte Ansprüche der jetzt auf den Arbeitsmarkt drängenden Generationen sowie der in vielen Unternehmen anzutreffende und durch die Digitalisierung getriebene Wandel zu einer moderneren Unternehmens- und Führungskultur sorgen dafür, dass der einzelne Mensch mit seinen individuellen Charaktereigenschaften und Bedürfnissen stärker als je zuvor im Mittelpunkt steht.

Wenn Arbeitsverhältnisse bereits in der Probezeit wieder beendet werden, liegt das in den seltensten Fällen an mangelnder Fachkompetenz, sondern vielmehr daran, dass es „einfach nicht gepasst“ hat. Unternehmen tun also gut daran, die Persönlichkeit von Bewerbern und Mitarbeitern einzuschätzen und dieses Wissen systematisch in Ihre Personalarbeit einzubauen. 

Bei unseren europäischen Nachbarn (und hier insbesondere in den Benelux-Staaten, Großbritannien und Spanien) sowie in den USA hat sich diese Erkenntnis bereits seit langem durchgesetzt. Persönlichkeitstests sind in diesen Ländern ein fester Bestandteil der HR-Toolbox sehr vieler Unternehmen. Deutschland hinkt im internationalen Vergleich zwar noch etwas hinterher, jedoch ist auch in hiesigen Personalabteilungen ein deutlicher Trend hin zu einer verstärkten Nutzung von Persönlichkeitstests zu beobachten.

Viele Unternehmen verschenken jedoch das große Potenzial, welches die Persönlichkeitsdiagnostik zweifelsohne bietet, da sie wenig aussagekräftige Verfahren einsetzen, mit denen sich die Persönlichkeit eines Menschen entweder gar nicht oder nur bedingt einschätzen lässt. So werden in einigen Unternehmen immer noch Verfahren genutzt, die geradewegs dem „Gruselkabinett“ der Personaldiagnostik entsprungen sind. Dazu zählen zum Beispiel die Graphologie (also die Lehre von der Handschrift als Ausdruck des Charakters) oder auch die sogenannte Psycho-Physiognomik, die behauptet, anhand der Kopfform und der Gesichtszüge Persönlichkeitsmerkmale diagnostizieren zu können. Die Ergebnisse jahrzehntelanger wissenschaftlicher Forschung zeigen eindeutig, dass die Aussagekraft dieser Methoden gegen null tendieren, dennoch halten einige Unternehmen unverdrossen daran fest. Sehr bedenklich sind auch neue, vermeintlich technologie-basierte Ansätze, deren Wirksamkeit bisher durch nichts belegt ist (wie z.B. Persönlichkeitsprofile auf Basis von Sprachanalysen oder auf Basis von ominösen „Spuren“, die eine Person im Internet hinterlässt) sowie esoterisch-spirituell angehauchte Methoden (wie z.B. das Enneagramm-Modell), die jeglicher wissenschaftlichen Grundlage entbehren.

Glücklicherweise sind solche Verfahren in deutschen Unternehmen eher die Ausnahme. Deutlich weiter verbreitet sind sogenannte typologische Testverfahren. Zu den bekanntesten Vertretern zählen hierzulande der Myers Briggs Type Indicator (oft besser bekannt als MBTI), das DISG-Modell oder auch Insights MDI – Namen, die den meisten Personalern vermutlich geläufig sein dürften. Alle diese Verfahren haben gemein, dass Sie mehr oder weniger auf die theoretischen Überlegungen Carl Gustav Jungs und/oder William Marstons zurückgehen und die menschliche Persönlichkeit in wenige „Typen“ unterteilen. Diesen Typen, welche zum Teil durch Farben gekennzeichnet sind, werden dann bestimmte Persönlichkeitseigenschaften zugeschrieben (der blaue Typ ist so, der rote Typ ist so…).

Verglichen mit den zuvor genannten Ansätzen ist die Seriosität dieser Verfahren als deutlich höher zu bewerten. Jedoch gelten die theoretischen Grundlagen typologischer Ansätze in der Wissenschaft seit Jahrzehnten als überholt und spielen in der Persönlichkeitspsychologie seit langer Zeit keine nennenswerte Rolle mehr, da sie mit zahlreichen Problemen behaftet sind: So stellt die Unterteilung in wenige Typen eine starke Vereinfachung des komplexen Konstrukts „Persönlichkeit“ dar, die der Individualität und Differenziertheit der menschlichen Persönlichkeit nicht gerecht wird. Es kommt zudem regelmäßig zu groben Verzerrungen – Menschen, deren Persönlichkeit sich stark unterscheidet, werden demselben Typ zugeordnet, während Menschen, deren Persönlichkeit sich stark ähnelt, in unterschiedlichen Kategorien landen.

Typologien arbeiten oft nach dem Schwarz-Weiß-Prinzip. Man wird beispielsweise als extravertierter oder introvertierter Mensch eingestuft. In der Realität ist jedoch niemand „einfach nur“ bzw. „immer“ extravertiert oder introvertiert. Stattdessen gibt es ein Kontinuum zwischen starker Extraversion auf der einen, und starker Introversion auf der anderen Seite. Die diagnostisch interessante Information ist nun, wo genau zwischen diesen beiden Polen ein Mensch liegt – eine Information, die typlogische Verfahren nicht liefern können.

Hinzu kommt, dass viele typologische Verfahren stark mit dem sogenannten Barnum-Effekt arbeiten. Das bedeutet, dass sie (ähnlich wie Horoskope) in den Ergebnistexten Aussagen verwenden, die so formuliert sind, dass sich jeder darin wiederfindet. Sätzen wie z.B. „ich bin produktiver an Tagen, an denen ich mich gut fühle“ oder „ich mag es nicht, wenn man mich manipuliert und zur Zustimmung zwingen will“ wird nahezu jeder Mensch zustimmen, sie sagen daher nichts über die individuelle Persönlichkeit aus.

Einige Verfahren verfügen zudem über eine erschreckend geringe Messgenauigkeit. Studien zum MBTI zeigen, dass die Wahrscheinlichkeit, in einer ganz anderen Kategorie zu landen, wenn man den Test ein zweites Mal absolviert, sehr hoch ist. Die Schwächen typologischer Verfahren sind seit langem weithin bekannt, daher mangelt es auch nicht an harscher Kritik von Expertenseite. So schätzt das Institut für Psychologie der RWTH Aachen das Insights-Verfahren als „antiquiertes Modell ohne empirische Belege“ ein. Der bekannte Wirtschaftspsychologe Prof. Dr. Uwe Kanning äußert sich auf seinem Youtube-Channel (http://bit.ly/2FzkADb) zu typlogischen Verfahren wie folgt: „Kein Unternehmen käme heute auf die Idee, die mechanischen Schreibmaschinen wieder aus dem Keller zu holen oder mit der Postkutsche zu den Kunden zu fahren. Aber in der Persönlichkeitsdiagnostik passiert genau das: Man nutzt Verfahren, die schon von ihrem grundlegenden Ansatz her seit Jahrzehnten überholt sind. Die Aufgabe der Personaldiagnostik ist viel zu wichtig, als dass man sich einer solchen Holzhammerdiagnostik bedienen könnte.“

Wenn nun aber der typologische Ansatz die „Postkutsche“ verkörpert, stellt sich natürlich die Frage, was denn eigentlich den „Sportwagen“ unter den Persönlichkeitsmodellen darstellt? Auf diese Frage hat die moderne Persönlichkeitspsychologie bereits seit etwa 25 Jahren eine sehr klare Antwort: Die Big Five.

„Die Big Five sind der ‚Sportwagen‘ unter den Persönlichkeitsmodellen.“

Professor Martin Puppatz

Bei den Big Five handelt es sich um fünf sehr stabile, voneinander unabhängige und interkulturell robuste „Superfaktoren“, die nach einhelliger Expertenmeinung in der Lage sind, die menschliche Persönlichkeit am besten und umfassendsten zu beschreiben. Im Einzelnen erfassen die Big Five, ob eine Person

  •   eher introvertiert oder extravertiert ist
  •   gewissenhaft und genau oder flexibel und spontan an Dinge herangeht
  •   offen gegenüber Neuerungen ist oder das Bewährte bevorzugt
  •   kooperativ oder kompetitiv gegenüber anderen Menschen agiert
  •   über eine robuste oder sensible psychische Konstitution verfügt
 

Unter diesen fünf Hauptfaktoren liegen jeweils sechs feinere Facetten, die man sich als Bausteine vorstellen kann, aus denen der jeweilige Hauptfaktor besteht.

Entscheidend ist nun, dass das Ergebnis eines Big Five-basierten Verfahrens eben keine „Typen“ generiert, man ist also nicht „der Gewissenhafte“ oder „der Kooperative“. Stattdessen wird ein Profil erzeugt, das heißt, dass man eine Übersicht seiner individuellen Ausprägung über alle Faktoren (und Facetten) erhält. Dadurch ist eine feine, extrem differenzierte Analyse der Persönlichkeit möglich, die der Einzigartigkeit des komplexen Konstrukts „Persönlichkeit“ sehr gut gerecht wird. Die Big Five sind wissenschaftlich so gut erforscht und empirisch belegt wie kein anderes Persönlichkeitsmodell und gelten seit Ende der 90er Jahre als das internationale Standardmodell in der Persönlichkeitsforschung. Es existieren tausende sehr hochwertige Studien, die die Zusammenhänge zwischen den Big Five und unzähligen anderen Kriterien untersuchen, sodass auf Basis eines Big Five-Profils belastbare Aussagen darüber getroffen werden, wie sich die Persönlichkeit einer Person beispielsweise auf den Arbeits- oder Führungsstil auswirkt.

Obwohl die Überlegenheit des Big Five-Modells gegenüber anderen Ansätzen unter Persönlichkeitspsychologen unstrittig ist, gibt es erstaunlich wenige Big Five-basierte Testverfahren, die sich in der Praxis etabliert haben. Der Hauptgrund dafür ist sicherlich die streng wissenschaftliche Anmutung sowie die sperrige, komplizierte Handhabung vieler traditioneller Big Five-Verfahren, welche die meisten Praktiker eher abschrecken dürfte.

Zu den Ausnahmen gehört der Linc Personality Profiler, ein Testverfahren, das am Lüneburg Institute for Corporate Learning (ein Spin-Off der Universität Lüneburg) entwickelt wurde. Der Linc Personality Profiler basiert konsequent auf den Big Five (ergänzt durch die Persönlichkeits-Elemente „Motive“ und „Kompetenzen“) und kombiniert einen fundierten wissenschaftlichen Ansatz mit einer ansprechenden, gut verständlichen und sehr praxisnahen Umsetzung. Mit seiner Mischung aus psychologischer Tiefe und anschaulicher Vermittlung hat sich der Linc Personality Profiler in den letzten zwei Jahren bei einer Vielzahl von großen und mittelständischen Unternehmen etabliert – nicht zuletzt auch bei der TOPOS Personalberatung, die das Verfahren seit etwa einem halben Jahr für die Besetzung von Top-Positionen einsetzt.

Weitere erwähnenswerte Big Five-Verfahren sind neben dem Linc Personality Profiler z.B. auch der Reflector Big Five Personality, das Bochumer Inventar zur berufsbezogenen Persönlichkeitsbeschreibung (welches Teile der Big Five mit anderen Faktoren wie z.B. Selbstbewusstsein und Handlungsorientierung kombiniert) oder auch die stark wissenschaftlich orientierten, aber sehr gut validierten Testverfahren NEO-PIR und NEO-FFI.

Welches Instrument man am Ende auswählt, wird immer auch von äußeren Rahmenbedingungen wie der Zielgruppe (z.B. Top-Führungskräfte oder Nachwuchsführungskräfte), dem Einsatzzweck (z.B. Auswahl oder Entwicklung), dem Budget und letztendlich auch dem subjektiven Empfinden des Personalers abhängen. Als Fazit ist jedoch festzuhalten: Unternehmen, die Verfahren zur Persönlichkeitsanalyse einsetzen möchten, sollten unbedingt auf die theoretischen Grundlagen des Instruments achten. Wer das volle Potenzial von Persönlichkeitsanalysen nutzen möchte und Wert darauf legt, dass die Ergebnisse wirklich aussagekräftig, präzise und verlässlich sind, kommt an dem Big Five-Modell als Goldstandard der heutigen Persönlichkeitspsychologie nicht vorbei. Denn wie so oft gilt auch hier: „Nichts ist so praktisch wie eine gute Theorie“.

„Nichts ist so praktisch wie eine gute Theorie.“

Professor Martin Puppatz

Weitere erwähnenswerte Big Five-Verfahren sind neben dem Linc Personality Profiler z.B. auch der Reflector Big Five Personality, das Bochumer Inventar zur berufsbezogenen Persönlichkeitsbeschreibung (welches Teile der Big Five mit anderen Faktoren wie z.B. Selbstbewusstsein und Handlungsorientierung kombiniert) oder auch die stark wissenschaftlich orientierten, aber sehr gut validierten Testverfahren NEO-PIR und NEO-FFI.

Welches Instrument man am Ende auswählt, wird immer auch von äußeren Rahmenbedingungen wie der Zielgruppe (z.B. Top-Führungskräfte oder Nachwuchsführungskräfte), dem Einsatzzweck (z.B. Auswahl oder Entwicklung), dem Budget und letztendlich auch dem subjektiven Empfinden des Personalers abhängen. Als Fazit ist jedoch festzuhalten: Unternehmen, die Verfahren zur Persönlichkeitsanalyse einsetzen möchten, sollten unbedingt auf die theoretischen Grundlagen des Instruments achten. Wer das volle Potenzial von Persönlichkeitsanalysen nutzen möchte und Wert darauf legt, dass die Ergebnisse wirklich aussagekräftig, präzise und verlässlich sind, kommt an dem Big Five-Modell als Goldstandard der heutigen Persönlichkeitspsychologie nicht vorbei. Denn wie so oft gilt auch hier: „Nichts ist so praktisch wie eine gute Theorie“.

 
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